Wie die Kolmgasse in Groß Gerungs ihren Namen erhielt

Die Gerungser Bürger, die sehr tapfer waren und sich keineswegs kampflos den schwedischen Soldaten ergeben wollten, errichteten an den Straßen, die in den Ort führten, große Schanzen und Befestigungen, die es den Schweden unmöglich machen sollten, in die Ortsmitte zu kommen. Eine dieser Schanzen stand am Ende der heutigen Kolmgasse.
Als es Abend wurde, erschienen die ersten schwedischen Reiter vor der Schanze. Sie wurden jedoch von den Verteidigern mit so gut gezielten Schüssen empfangen, daß sie schnell zurückwichen und weit abseits des Marktes ihr Lager errichteten. Nach längerer Beratung beschlossen sie, die Nacht abzuwarten und dann zu versuchen, die Schanze im Handstreich zu nehmen.
Die Gerungser sahen in der Ferne die Lagerfeuer der Schweden brennen. Sie berieten sich ebenfalls und einer sagte: „Hoffentlich greifen sie nicht bei Nacht an. Es wäre gut, einige große Reisighaufen zu richten, die man notfalls schnell entzünden könnte, um so die Feinde besser zu sehen!“ Dieser Meinung waren auch die anderen und so wurden an beiden Enden der Schanze mächtige Haufen aus trockenem Reisig errichtet, in das man große Pechstücke warf, damit das Feuer schnell aufflammen und besonders hell leuchten sollte. Dann stellte man Wachen auf und legte sich nieder, um im Schlaf Kraft für den nächsten Tag zu suchen.
Der Wachposten, ein Mann namens Kolm, ging unruhig die Schanze auf und ab. In der Ferne leuchteten noch immer die Feuer der Schweden. Auch mehrere Häuser in den benachbarten Ortschaften hatten sie angezündet und die erhellten wie Fackeln die dunkle Nacht. Ruhig lag hingegen der Markt, die Lichter waren gelöscht und alles schlief.
Plötzlich hörte Kolm ein leises Klirren jenseits der Schanze. Wie wenn man zwei Eisengegenstände aneinanderschlug. Fest packte er sein Gewehr und spähte hinüber. Trotz der tiefen Dunkelheit war es ihm, als ob sich Gestalten lautlos der Befestigung näherten. Da wieder, ein leises Rasseln, wie wenn jemand einen Säbel aus der Scheide zog. Kolm legte sein Gewehr an, zielte genau auf einen der vordersten Schatten und drückte ab. Ein lauter Wehschrei erscholl und im Feuerschein des Schusses sah er einen schwedischen Soldaten zusammenbrechen. Nun wusste er, daß die Feinde angriffen. Schnell entzündete Kolm einen der Reisighaufen. Gleichzeitig rief er laut: „Auf Männer, zu den Waffen, der Feind ist nah! Alarm! Alarm!“
Sofort erhoben sich die Männer von ihren Schlafstellen und eilten herbei. Im hellen Feuer des brennenden Holzhaufens sah man die schwedischen Soldaten in großer Menge herankommen. Da eröffneten die Gerungser das Feuer. Eine kleine Kanone hatte man ebenfalls aufgestellt welche nun abgefeuert wurde und
wohl ein Dutzend Feinde in den Tod riß.
Die Schweden, die durch diese unerwartete Abwehr völlig überrascht waren, die überall ihre Leute tot oder verwundet zu Boden sinken sahen, kehrten um und liefen mit großem Geschrei davon. Hinter ihnen auf der Schanze erklang jedoch das Siegesgeschrei der Gerungser, die die Feinde so tapfer zurückgeschlagen hatten.
Für sie war nun keine Zeit mehr, um schlafen zu gehen. Aufgeregt besprachen sie die Kampfereignisse. Als dann endlich der Morgen graute und man wieder weit ins Land blicken konnte, da war von den Schweden nichts mehr zu sehen. Sie waren noch in der Nacht weitergezogen und hatten kein zweites Mal mehr Versucht, Groß Gerungs zu erobern. So hatten sich die Leute des Marktes durch Tapferkeit und Umsichtigkeit von einem Feind befreit, der großes Unheil und große Not über alle gebracht hätte.
Als am Morgen die Männer vor der Schanze beisammen standen, da sagte einer: „Eigentlich haben wir es dem Kolm zu verdanken, daß alles so gut ausgegangen ist. Hätte er nicht während seiner Wache aufgepaßt und uns vor dem Angriff gewarnt, so wäre es uns bestimmt schlecht ergangen.“
Der Kolm wurde daraufhin herbeigeholt, alle bedankten sich herzlich bei ihm und schließlich meinte der Bürgermeister:
„Zum Dank wollen wir die Gasse, an deren Ende die Schanze stand, Kolmgasse nennen. Sie soll unsere Nachkommen stets an den Mann erinnern, der durch seine Aufmerksamkeit Groß Gerungs vor den Schweden rettete.“
So erhielt die Gasse ihren Namen. Sie hat ihn auch heute noch, die Kolmgasse.

Quelle: Waldviertler Heimatbuch, Helmut Sauer, Verlag Josef Leutgeb, Zwettl, 2. Auflage 1977, Band I
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