Die Walpurgisnacht oder
der Hexentanz auf dem Gutenberg bei Grafenschlag

Die neun Tage vor dem 1. Mai heißen die Walpurgistage, die Nacht vor dem 1. Mai, die Walpurgisnacht. Nach altem Aberglauben kommen in dieser Nacht die Hexen auf einem hohen Berg zusammen, brauen aus vielerlei Kräutern ein Zaubersüppchen, von dem sie trinken, wodurch sie große Macht über Mensch und Tier erhalten.
Wenn man vom Markt Grafenschlag aus zwei Kilometer nach Westen wandert, so steht man am Fuße eines steil aufragenden Hügels, des 855 m hohen Gutenberges. Steigt man auf den Berggipfel, so schweift der Blick weit über das Waldviertel. Bewaldete Berge bis hinauf zu den Gipfeln des Weinsberger Waldes, die Ruine Arbesbach, der „Stockzahn des Waldviertels“, Einzelgehöfte, Dörfer und Orte und dazwischen Wald, Wald und wieder Wald, so zeigt sich in weitem Kreise die Umgebung dem Blicke des Wanderers.
Vor langen Jahren erbauten Lehensmänner der Kuenringer hier eine Burg, die Burg „Gutenberch“. Jahrhundertelang war sie eine wichtige Grenzfestung gegen die Böhmen. Schon von weitem sah man von hier aus die böhmischen Raubscharen und die Horden der Hussiten ins Waldviertel einfallen, konnte die ganze Umgebung davon benachrichtigen und warnen. Ob die Burg je zerstört oder unbewohnt dem Verfall überlassen wurde, wer weiß es? Heute ist davon fast nichts mehr zu sehen. Nur schwer kann man sich an Hand der wenigen Mauerreste ein Bild der ehemaligen stolzen Burg „Gutenberch“ machen.
Je mehr die Festung verfiel und ihre Überreste verschwanden, desto sagenumwobener wurde der Berg. „Höll“ und „Teufelskirche“ nennen die Leute die nähere Umgebung und gewaltige, in den Stein gehauene Schüsseln, Opfersteine aus uralter Zeit, machen ihn noch unheimlicher.
Dem Volksglauben nach soll er einer der Berge sein, auf dem sich in der Walpurgisnacht die Hexen versammeln. In den Steinschüsseln sollen sie dann kochen und ihre Zauberspeisen zubereiten. Das Wasser dazu holen sie aus dem „Geisterbründl“, einer Quelle am Fuße des Berges.

Gefährlich ist es, die Hexen dabei zu überraschen und ihnen zuzusehen. Davon weiß ein alter Hirte zu erzählen, der auf dem Schloß Rappottenstein bedienstet war. Er berichtet:
„Eines Nachts, es war Ende April (Walpurgisnnacht), da ging ich von der Ortschaft Wielands nach Bromberg. Ich mußte dabei in der Nähe des Gutenberges vorüber. Wie erstaunt war ich, als ich sah, daß auf dem Berg ein Feuer brannte. „Haben doch die Lausbuben hier ein Feuer angezündet“, dachte ich bei mir und:
„Na, wartet, ich werde es euch zeigen!“ Wie leicht kann doch durch eine solche Unvorsichtigkeit ein Waldbrand entstehen. Ich packte meinen dicken Hirtenstock fester und ging auf den Berg.
Bald erreichte ich einen großen Felsen, um den ich vorsichtig schlich und hatte nun das Feuer genau vor mir. Wie entsetzt war ich aber, als ich anstatt der vermuteten Buben gar seltsame Gestalten rings um das Feuer bemerkte. Die meisten von ihnen waren in Felle gehüllt, sie hatten Bärenköpfe, Hirschköpfe und
Ochsenschädel, nichts Menschliches war an ihnen.
Einer von ihnen, wahrscheinlich der Anführer, stand vor einem großen Stein, auf dem viele Arten von Speisen ausgebreitet waren, und es schien mir, als ob er eine Andacht, eine Messe‚ feiern würde. Stumm hockten die anderen ringsherum und betrachteten sein geheimnisvolles Tun.
Wohl eine Viertelstunde stand ich starr vor Furcht und sah der seltsamen Gesellschaft zu. Die Zauberer und Hexen, nur um solche konnte es sich handeln, hatten mittlerweile ihre Feier beendet und sammelten sich nun laut redend um den Stein, griffen nach den dort ausgebreiteten Speisen und ließen es sich gut schmecken.
„Jetzt kannst du unbemerkt entkommen“, dachte ich und wollte mich leise davonschleichen. Da, mir schwanden fast die Sinne‚ nahm mich jemand beim Kragen und stieß mich zum Feuer hin. Einer der Teufel hatte sich hinter mich geschlichen und mich gepackt.
„Nun hat deine letzte Stunde geschlagen“, ging es mir durch den Kopf und ich rief in Gedanken alle Heiligen um Hilfe an.
Man empfing mich mit großem Geschrei und Gelächter. Einige der zottigen Kerle ergriffen meine Hände und wirbelten mich im Kreis, daß mir davon ganz schwindlig wurde. Dann zerrten sie mich zum Opferstein. Ich mußte von all den Speisen essen, die hier ausgebreitet lagen, und aus vielen Krügen trinken, welche mit gar wohlschmeckenden Getränken gefüllt waren. Angst hatte ich keine mehr. Mir war alles gleichgültig geworden. Ich aß und trank daher, so fest ich nur konnte und war davon überzeugt: „Das ist deine Henkersmahlzeit!“
Als mir meine „liebenswerten“ Gastgeber jedoch nichts zuleide taten, da wurde ich mutiger und dachte: „Sollte ich noch einmal gut wegkommen und diese Geschichte den Leuten im Dorf erzählen können, wer wird mir glauben?“ Um das Erlebnis beweisen zu können, steckte ich daher heimlich ein großes Stück Schinken und mehrere der herrlich duftenden Hahnflecken in meine Taschen. Hahnflecken sind scheibenförmige, fette, gebackene Mehlspeisen, die mir stets gut geschmeckt haben.
Nach einiger Zeit bemerkte ich, daß die Zaubergestalten weniger wurden. Manch einer setzte sich auf einen Besen und fuhr funkensprühend durch die Luft davon, andere verschwanden halb hüpfend, halb fliegend im Unterholz. Schließlich, ich glaubte schon, sie hätten auf mich vergessen, nahm mich ein mächtiger Kerl beim Rock, zog mich zu sich auf einen großen Besenstiel und schwang sich mit mir jauchzend und schreiend in den dunklen Nachthimmel.
„Jetzt erwischt es dich doch noch“, sagte ich mir voll Schauer und wagte kaum die Augen zu öffnen.
Nachdem die wilde Fahrt einige Zeit gedauert hatte, näherten wir uns wieder dem Erdboden. Der Kerl, ich glaube es muß der oberste Teufel persönlich gewesen sein, stieß ein greuliches Gelächter aus und gab mir einen Stoß, so daß ich zur Erde fiel, dann brauste er davon.
Ich muß wohl mehrere Stunden halbtot an dem Platz gelegen haben. Ein Holzarbeiter, der am Morgen zur Arbeit ging, fand mich und nahm mich mit in sein Haus. Ungläubig lauschten die Leute meiner Erzählung. Da fielen mir der Schinken und die Hahnflecken ein, die ich ja noch in meinen Taschen hatte. Wie lachten mich jedoch alle aus, als ich diese Speisen aus den Taschen zog und bemerkte, daß sie zu einer übelriechenden stinkenden Masse geworden waren.
Drei Tage benötigte ich, um wieder nach Hause zu kommen, so weit hatte mich der Böse mitgenommen. Als ich endlich daheim war, da war ich durch die ausgestandenen Ängste und durch den weiten Marsch so schwach und krank, daß ich lange Zeit das Bett hüten mußte. Ganz gesund wurde ich nie mehr.“
Damit beendete der alte Hirte seine Erzählung. Lange war es still und die aufmerksamen Zuhörer schauten hinauf zum Gutenberg, der geheimnisvoll und stumm vor ihnen lag und doch war es ihnen, als ob sie ihn reden und raunen hörten: „Oh, ihr kleinen Menschen, was wißt ihr schon von mir und den vielen Sachen, die es zwischen Himmel und Erde gibt und von denen ihr keine Ahnung habt!“

Quelle: Waldviertler Heimatbuch, Helmut Sauer, Verlag Josef Leutgeb, Zwettl, 2. Auflage 1977, Band I
ISBN ohne Nummer

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