DAS ERBE DES VATERS

Ein alter König hatte drei Söhne. Als er fühlte, das er sterben werde, rief er alle drei an sein Lager und fragte sie nach ihren Wünschen.
„Wir wollen Könige werden“, sagten die beiden älteren Prinzen.
„Ich wünsche mir nichts anderes, Vater“, sagte der Jüngste, „als daß jeder, der mich anblickt, mir gut ist.“
Der Vater segnete sie und starb.
Nach dem Begräbnis beschlossen die drei Brüder in die Welt zu ziehen, um das Leben kennenzulernen. Die beiden älteren rüsteten sich stattlich aus, wie es ihrem Stande entsprach. Der jjüngste, Petka, behielt sein Alltagsgewand an und sah neben ihnen wie ein armer Wanderbursche aus.
Am selben Abend noch kamen sie in ein Wirtshaus am Waldrand. Die Prinzen traten ein, und die älteren Brüder taten, als gehöre Petka nicht zu ihnen, denn sie schämten sich seiner. Dies kränkte Petka aber nicht weiter, er ging geradewegs in die Küche. Die Wirtin hatte viel Arbeit, und ohne ihn recht anzuschauen, rief sie: „Was will dieser zerlumpte Bursche hier, schau, daß du fortkommst, hier ist kein Platz für dich.“ Sie wollte ihn hinausjagen, da traf sie sein Blick und aller Ärger war verflogen. Sie wurde sanft wie eine Taube, nahm Petka in die Wirtsstube, gab ihm besseres Essen und edleren Wein als den anderen Prinzen und das beste Nachtlager wurde ihm von ihr gerichtet.
Als sie am Morgen aufbrachen, gab ihm die Wirtin eine schön umflochtene Kürbisflasche und sagte: „Da hat du etwas für den Weg, damit du manchmal meiner gedenkst. Sooft du auch aus dieser Flasche trinken wirst, sie wird nimmer leer werden.“
Petka dankte der guten Wirtin herzlich und setzte den Weg mit seinen Brüdern fort.
In der Flasche war ein guter Wein. Petka trank nach Herzenslust und auch die Brüder sprachen der Flasche gerne zu und trotzdem wurde der Wein darin nicht weniger. Die Wirtin hatte wahr gesprochen und Petka freute sich über das Geschenk. Die Brüder beneideten ihn ein wenig, aber sie hatten ihn dennoch lieb.
Am nächsten Abend kamen sie in einen stattlichen Bauernhof. Die beiden älteren Prinzen wurden mit großen Ehren empfangen. Petka aber beachtete niemand. Als sich alle zum Abendessen niedersetzten, nahm auch Petka bescheiden am Tische Platz.
„Wie kannst du es wagen, neben diesen hohen Herren Platz zu nehmen, du zerlumpter Bursche“, rief die Hausfrau und schaute Petka böse an – und weg war ihr Ärger. Sie trat zu ihm hin, gab ihm die besten Speisen und am liebsten hätte sie ihm das Blaue vom Himmel heruntergeholt. Er bekam das weichste Nachtlager, und als er sich am nächsten Morgen verabschiedete, überreichte sie ihm ein Tüchlein und sagte: „Da hast du etwas, damit du meiner gedenkst. Wenn du das Tuch ausbreitest, werden alle Speisen, die du dir wünschst, darauf stehen.“
Petka dankte und ging mit seinen Brüdern weiter. Jetzt mußten sie kein Wirtshaus mehr aufsuchen, um Hunger und Durst zu stillen, denn das Tuch gab ihnen das beste Essen, das ein Gaumen wünschen kann, und die Flasche gab den erlesenen Wein dazu.
Abends kamen sie zu einem Schloß, wo sie freundliche Aufnahme fanden, das heißt die beiden älteren Prinzen. Um Petka kümmerte sich niemand. Der war darüber traurig. Er schlenderte durch das Schloß, solange es ihm gefiel, und kam in den Saal, wo die anderen schon an der Tafel saßen. Die Herrin sprang auf und wollte den zerlumpten Gesellen hinauswerfen lassen. Aber da blickte sie in seine Augen – und sie führte ihn an die Spitze der Tafel, ließ ihm das beste Essen auftragen und bereitete ihm später selbst das Nachtlager. Er schlief wie in weicher Wolle.
Am anderen Morgen, beim Abschied, setzte sie ihm einen Dreispitz auf den Scheitel: „Behalte diesen Hut, damit du manchmal meiner gedenkst. Wenn du ihn nach dem linken Ohr drehst, werden aus allen drei Ecken Schüsse dröhnen, wie aus Kanonen so laut. Wenn du ihn aber nach rechts drehst, wird liebliche Musik ertönen und alle Hörer entzücken.“
Petka dankte der Schloßherrin, verwahrte den Hut und ging mit seinen Brüdern weiter.
An diesem Tag kamen sie in eine große Stadt. Dort herrschte ein König, der eine wunderschöne Tochter hatte. Die Prinzessin war aber ebenso herrisch und eigensinnig, wie sie schön war. Der König hätte sie gerne verheiratet, aber keiner der Freier war ihr gut genug und schließlich ließ sie alle, die es wagten, um sie zu werben, in den Kerker bei Wasser und Brot einsperren.
Unsere drei Prinzen wollten die Prinzessin gerne sehen. Sie gingen ins Schloß, aber kaum hatte die Königstochter sie von weitem herankommen sehen, gab sie den Befehl, man solle sie fassen und einsperren. So geschah es auch.
„Brüder, Kopf hoch. Trinken wir und seien wir heiter“, sagte Petka, zog die Kürbisflasche heraus und machte einen kräftigen Zug. Dann reichte er sie seinen Brüdern und schließlich rief er die Wache herbei und alle Leute, die verüberkamen, und bot jedem einen Trunk aus der Flasche an. Bald ging es in der Zelle zu wie auf einem Jahrmarkt.
Der König hörte das fröhliche Treiben und wollte wissen, was es da unten gäbe. Da erzählte man ihm von der Wunderflasche, aus welcher der beste Wein fließe, ohne daß sie leer würde. Der König hätte diese Flasche gerne besessen und ließ das dem jungen Petka sagen.
„Der König kann die Flasche haben, wenn er mir erlaubt, einen ganzen Vormittag lang im Zimmer der Prinzessin zu stehen“, ließ Petka sagen.
Der König wunderte sich über dieses Begehren, aber da er die Flasche durchaus haben wollte, ging er zur Tochter und berichtete ihr von dem Wunsche des Fremdlings. Die Prinzessin wollte nichts davon hören; erst als der König ihr versprach, zwölf Männer von der Wache zu ihrem Schutze ins Zimmer zu stellen, gab sie Erlaubnis, den Burschen vorzuführen.
Man brachte Petka in das Gemach der Jungfrau, wo zwölf Männer Wache standen. Die Prinzessin saß beim Fenster, das Gesicht in dichte Schleier gehüllt. Petka stellte sich vor sie hin und stand reglos da, bis die Glocke zwölf schlug. Er wurde wieder in den Kerker geführt und hatte nicht einmal einen Finger der Prinzessin zu sehen bekommen.
Die Brüder hießen ihn töricht, daß der die köstliche Flasche für nichts verschenkt hatte, aber Petka lachte nur. „Ach was, wir haben ja noch das Tuch.“ Bei diesen Worten breitete er es aus und ein köstliches Festessen war darauf gerichtet. Sie ließen sich’s gut schmecken, und wer wollte, wurde zu Gast geladen, und das waren nicht wenige.
Der König sah, wie von allen Seiten Leute in den Kerker strömten. „Was ist denn los dort unten?“ fragte er.
Als er von dem wunderbaren Tuche erfahren hatte, bekam er Lust, es zu besitzen. „Wenn ich die Flasche habe, so möchte ich auch das Tuch“, ließ er Petka sagen.
„Der König kann das Tüchlein haben, wenn er mich den ganzen Nachmittag im gemach seiner Tochter stehen läßt.“
Diesmal weigerte sich die Jungfrau nicht mehr, denn sie hatte sich überzeugt, daß Petka sich gut zu betragen verstand.
Nach dem Essen führte man den jungen Prinzen ins Gemach der Königstochter, die schon, von ihrer Wache umgeben, dicht verschleiert am Fenster saß.
Petka stand vor ihr, ohne sich zu rühren, und wieder bekam er nicht einen Finger der Jungfrau zu sehen.
Als er am Abend in den Kerker zurückgebracht wurde, schalten die Brüder noch mehr als gestern, denn sie wußten, daß sie nun dem Hunger preisgegeben waren.
„Macht euch keine Sorge, liebe Brüder. Wenn wir auch nicht mehr Speise und Trank haben, so können wir und mit Schießen und Musizieren die Zeit vertreiben“, lachte Petka und schob seinen Dreispitz auf das rechte Ohr. Da erklang eine Musik, so lieblich und süß, daß jedem, der sie hörte, das Herz weit wurde. Klang die Weise traurig, so kamen den Leuten Tränen, und wurde sie heiter, mußte man tanzen. Man vergaß Hunger und Durst, wenn man sie hörte, und alles Erdenleid war geschwunden, solange die Musik spielte. Bis zu den Ohren des Königs drangen die holden Klänge, und ergriffen lauschte er, ohne zu wissen, woher sie kamen.
„So – und jetzt schaffen wir uns eine andere Unterhaltung“, sagte Petka und schob seinen Hut auf das linke Ohr. Im gleichen Augenblick hub ein solcher Kanonendonner an, daß das ganze Schloß erzitterte. Die Leute, plötzlich aus allen Himmeln gerissen, dachten, die Welt stürze ein, und jeder lief, wohin immer ihn die Beine trugen.
Der König kam ganz erschrocken herbeigeeilt, denn er glaubte, daß ein ganzes Feindesheer das Schloß stürme. Aber da sagte ihm ein Diener, daß einer der Gefangenen sich bloß die Zeit vertreibe, und erzählte ihm von dem wunderbaren Hut.
Als der König dies vernommen, ließ er dem Petka sagen, er solle ihm den Dreispitz schenken.
„Der König kann den Dreispitz haben, wenn er mich am Abend zur Prinzessin läßt.“
Und die Prinzessin erlaubte es. Man führte den Prinzen am Abend in ihr Gemach, wo schon die Wache stand. Petka kniete zu Füßen der Jungfrau nieder und schaute unverwandt auf das verschleierte Antlitz. Sie aber saß, als wäre sie von Stein. Allmählich indessen wurde sie unruhig. Sie hätte doch gerne gewußt, wie der Mann aussah, der so hartnäckig nach ihrem Anblick strebte und dafür Schätze opferte, die es auf der Welt nicht ein zweites Mal gab.
Langsam, ganz langsam, hob sie den Schleier. Er entglitt ihren Fingern und zwei Augenpaare versanken ineinander. Die Jungfrau neigte sich zu dem Knienden und zog ihn zu sich empor.
Eine fröhliche Hochzeit wurde gefeiert und die zwei Brüder wurden Brautführer. Der alte König hatte an seinem Schwiegersohn solchen Gefallen, daß er ihm zu seiner schönen Tochter auch sein ganzes Reich schenkte.
Nach der Hochzeit kehrten die zwei älteren Brüder traurig in ihr Königreich zurück. Sie waren Könige – sonst nichts – und sie erkannten zu spät, daß nicht sie sich vom Vater das Höchste auf Erden erbeten hatten, sondern Petka: die Liebe.

Quelle: Slowakische Märchen; nacherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler; Wilhelm Andermann Verlag Wien; 1944

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