Der König, der Kanzler und der Bauer

Einem König lag nichts mehr am Herzen, als sein ganzes Volk von Grund aus kennenzulernen, damit er es dann um so besser regieren könne. Darum zog er sich häufig schlechtes Zeug an und sprach darauf in dieser Verkleidung bei dem gemeinen Manne vor; denn wenn er in königlicher Pracht gekommen wäre, so hätten sich die Leute aus Furcht und Verlegenheit doch nicht so gezeigt, wie sie eigentlich waren.

So klopfte der König mit seinem Kanzler, als Bettelleute verkleidet, eines Abends bei einem Bauern an die Tür und begehrte Speise und Trank und Nachtlager dazu. Der Bauer willfahrte der Bitte, und es wurde den beiden eine große Schüssel mit Grütze vorgesetzt. Die waren aber andre Speise gewohnt und konnten keinen Bissen herunterbringen. "Ihr bettelt und wollt dann wählerisch sein?" sprach der Bauer erregt. Und hast du's nicht gesehen! hatte der König einen Backenstreich bekommen, daß ihm Hören und Sehen verging. Als er wieder zu sich kam, mußte er wohl oder übel von der schmalen Kost zulangen, wollte er nicht den Zorn des Bauern noch größer machen.

Nach der Mahlzeit wies man den beiden in der Scheune ein Lager an und machte ihnen bekannt, morgen würde gedroschen und sie müßten mithelfen. Ehe am andern Tage die Sonne aufging, erschien denn auch der Bauer an ihrem Lager und hieß sie aufstehen. Doch das Frühaufstehen war ihnen fast noch ungewohnter als gestern das kärgliche Abendbrot. Kaum war ihr Wirt aus der Scheune herausgegangen, so taten sie darum auch schon die Augen wieder zu und schliefen weiter.

Als die vermeintlichen Bettler nicht bei der Arbeit erschienen, wurde der Bauer sehr zornig, ergriff seinen Knotenstock, schlich sich in die Scheune und prügelte den König, der vorn lag, tüchtig durch und befahl abermals den beiden aufzustehen. Aber auch jetzt konnten sie ihre Faulheit noch nicht überwinden. Nun befahl der König dem Kanzler, daß er den Platz mit ihm tausche, da er nicht noch einmal von dem Bauern durchgeprügelt werden wollte.

Dieser wartete mit dem Dreschen eine kurze Zeit, und als wiederum keiner kam, ging er zum dritten Male in die Scheune und rief: "Ihr faulen Schelme, seid ihr denn ganz unverbesserlich? Aber diesmal sollst du dahinten die Prügel bekommen, damit du nicht leer ausgehst." Und damit zog er den König am Beine aus seinem alten Versteck hervor und prügelte ihn wieder durch. Jetzt aber riß dem König die Geduld, rasch sprang er auf, lief mit dem Kanzler zum Gehöft hinaus und machte, daß er wieder in das königliche Schloß kam.

Einige Tage später wurde der Bauer zum König befohlen, und als er nun mit schlotternden Knien vor ihm stand, fragte der König ihn gar leutselig, ob nicht neulich zwei Bettelleute auf seinen Hof gekommen wären. "Jawohl", sagte der Bauer, "sie haben bei mir gegessen und geschlafen; doch als sie zum Entgelt am andern Morgen dreschen sollten, da sind sie aus dem Hause gelaufen." - "Ist dies vielleicht einer von den beiden?" sagte der König, und durch eine Seitentür trat der Kanzler herein, in der Kleidung, die er damals getragen hatte. - "Ja, das ist der eine", antwortete der Bauer; "hätte ich nur noch den andern dazu, es sollte den Schelmen schlecht gehen."

Darauf ging der Kanzler hinaus, kleidete sich um und kam in seiner Hofkleidung wieder. Jetzt erkannte ihn aber der Bauer nicht; ebenso wenig, wie er es gemerkt hatte, daß der König derjenige von den beiden Bettlern gewesen war, den er so sehr durchgeprügelt hatte. Nun blieb der Kanzler mit dem Bauern allein; der König verließ den Saal und erschien nach wenig Augenblicken ebenfalls in dem Bettelkleide. Der Bauer erkannte ihn auch sogleich und rief: "Da hab' ich dich ja, du Tagedieb; wo ist aber nur der andre, damit ich euch beide unserem Herrn und König vorführen kann?" Schon wollte der Bauer ihn anpacken, aber der König entwich ihm, um gleich darauf in seiner königlichen Kleidung wiederzukommen.

Nachdem sie sich nun genugsam über die Einfalt des Bauern erfreut hatten, ging man zu Tisch, und der Bauer mußte sich auch mit hinsetzen. Während die andern aber die köstlichsten Speisen bekamen, erhielt er nichts anders als eine Schüssel mit Grütze. Da mochte es ihm gar nicht schmecken, und er konnte kaum einen Bissen hinunterwürgen. "Du Schelm", rief jetzt der König ebenfalls, "ist dir die Speise nicht gut genug?" und damit gab er ihm einen Backenstreich. Jetzt gingen dem Bauern die Augen auf, und er merkte, wer damals seine Gäste gewesen waren. Totenbleich bat er den König um Verzeihung. Der König aber lachte und hieß ihn guten Mutes sein, ließ ihm andere Speisen vorsetzen und entließ ihn zu guter Letzt reich beschenkt in seine Heimat.

Quelle: Schelme und Narren; Josef Pöttinger; Verlag Ferdinand Ertl Wien; 1941

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