Die Walfischjagd

Weißenstadt im Fichtelgebirge war in alten Zeiten ein wohlbefestigtes Städtchen, und seine Bürger hatten in mancher Fehde harte Stürme abgeschlagen und waren deswegen berühmt geworden. Eigentlich kann man aber nicht bestimmt sagen, ob sie ihren Ruhm mehr ihrer Tapferkeit oder ihrer ausbündigen Klugheit zu verdanken haben. Denn nicht allein, daß die Weißenstädter lange vor den Schildbürgern auf den feinen Gedanken kamen, ihren Gemeindestier an einem Seil um den Hals auf die Stadtmauer zu ziehen, damit er dort das fette Gras abweiden könne; einmal erlegten sie sogar ein Meerungeheuer in ihrem Stadtteich und das konnten ihnen die Schildbürger doch nicht nachmachen.

Eines Tages kam der Gemeindehirt atemlos zum Bürgermeister gelaufen und berichtete, daß im Stadtteich ein furchtbares Ungetüm herumschwimme. Sein Rücken schaue über das Wasser heraus und sei rund und braun wie ein alter Backkübel; von Zeit zu Zeit aber, wenn die Enten nahe genug herankämen, schwanke das Ungeheuer so grausam, daß einem des Herz im Leibe wackeln möchte. Eilends ließ der Bürgermeister Sturm läuten. Als die wehrhaften Männer auf dem Markt beisammen waren, suchte er die Scharfschützen heraus und hielt eine schöne Rede, daß sie heute zeigen sollten, wie sie die Vaterstadt vor dem fürchterlichen "Waldfisch" im Stadtteich zu retten vermöchten oder, wenn es Gottes Wille sei, tapfer zu sterben. Da wollte jeder der erste sein - bis sie den Fisch erblickten und nun doch ein wenig gegen den Rand des Dammes zurückwichen, aus mancherlei Gründen. Und dann begann ein Schießen, daß die Berge ringsum hallten und der Pulverdampf das ganze Städtchen einhüllte.

Als der "Waldfisch" genug zu haben schien, wurde er mit Haken ans Ufer gezogen. Da zeigte es sich denn, daß das vermeintliche Meerungeheuer wirklich - ein unschuldiger Backkübel war.

Die Weißenstädter aber ließen sich's nicht verdrießen, sondern sagten, sie seien nicht gegen einen Backkübel ausgezogen, sondern gegen einen "Waldfisch", und auf die Meinung komme es an, und sie hätten den Strauß wohl bestanden. Worauf sie mit Trommeln und Pfeifern ins Wirtshaus zogen und sich bis in den andern Morgen hinein gütlich taten.

Quelle: Schelme und Narren; Josef Pöttinger; Verlag Ferdinand Ertl Wien; 1941

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