Der Springerwirt

Bei Eferding an der Donau steht ein altes Einkehrgasthaus, von dem über dem Tore ein recht merkwürdiges Schild herabhängt. In bunten Farben gemalt, stellt es einen Harlekin dar, der in den Lüften zu schweben scheint und dabei seine Schellenkappe schwingt. Das Haus steht hart an der Straße und ist weit und breit unter dem Namen "Zum Springerwirt" bekannt.

An einem heißen Sonntagnachmittag saßen einmal die Bauern müd und schläfrig in der Schenke bei ihren Krügen, während der griesgrämige Wirt in einem Winkel hockte und verdrießlich dreinschaute, weil sein Geschäft nicht allzu gut ging. Da schmetterte plötzlich jemand ein lustiges Lied vom Zaun herüber und ehe sich noch die Bauern neugierig erheben konnten, trat ein wandernder Student in die Gaststube. Er grüßte zuerst recht artig, dann rief er: "Heda, Herr Wirt! Einen Humpen Wein, aber vom besten!" Dieser Auftrag machte dem Wirt Beine; er lief in den Keller, und nachdem er dem Fremden den frischen Labetrunk auf den Tisch gestellt hatte, fragte er neugierig: "Mit Verlaub, woher kommt Ihr des Weges?" "Woher?" lachte der Fremde, "zunächst von Eferding her." "Seid Ihr ein wandernder Handwerksbursche?" "Nein, ich bin Doktor der freien Künste, ein Magister, der seinesgleichen sucht." Da steckten die Bauern die Köpfe zusammen und wispelten einander etwas ins Ohr. Der Fremde trat hierauf stolz vor sie hin und sagte: "Ich heiße Rothard und habe mich mit meinen Kunststücken vor arm und reich, vor groß und klein, ja selbst vor Königen und Fürsten gezeigt und bin überall bewundert worden." Jetzt wurde der Wirt nun doch ein wenig stutzig und meinte: "Da sollt Ihr uns doch ein Pröbchen zum besten geben!" "Ei, warum denn nicht, nichts leichter als das" entgegnete der Magister und lachte verschmitzt drein. "Ist es Euch genehm, so mag es eine Wette gelten. Seid Ihr damit einverstanden?" "Topp, es sei!" schrie der Wirt, und die Bauern rückten neugierig auf der Bank zusammen und rissen Maul und Augen auf.

"Nun, recht so, es gilt! Ich springe höher als Euer Haus. Gelingt dies mir, soll das Gebäude mein eigen sein, wenn nicht, so verpflichte ich mich, fünfzig Humpen Eurer feinsten Sorte zu zahlen." "Gut", rief der Wirt, schlug in die bereitgehaltene Rechte des Gesellen und sagte noch: "Will derweilen die Fäßchen anstechen; aber nun zeigt, was Ihr könnt!" "Also, paßt auf!" rief der Fremde, "ich springe höher als Euer Haus!" Da lachte der Wirt und schrie: "Ihr seid doch ein rechter Narr! Wie könnt Ihr höher springen als mein Haus, das mit seinen zwei Stockwerken vom Sockel bis zum First wohl über zehn Meter mißt." "Mag es dreißig Meter zur Höhe ragen, ich springe dennoch höher als Euer Haus. Jetzt gibt es kein Zurückweichen mehr! Ihr habt die Wette mit mir gemacht, und darum müßt Ihr sie auch halten!" Die Bauern gaben ihm recht und der Fremde führte sie alle zur Tür hinaus und sagte: "Sehet nur gut zu, ob ich die Wette gewinne!" Dabei warf er seinen Mantel auf die Hausbank, streckte die Ärmel seines Wamses auf und schickte sich zum Sprunge an. Er schwang sich empor, erreichte aber über dem Boden kaum die Tischhöhe. Dann sagte er lachend: "Nun habe ich die Wette gewonnen, Herr Leutgeb, und jetzt sputet Euch schnell, uns den besten Wein aus dem Keller zu bringen, den will ich gern bezahlen, doch das Haus ist mein eigen." "Was?" schrie der Wirt, ganz krebsrot vor Zorn. "Ihr seid höher gesprungen als mein Haus, wo Ihr nicht einmal das ebenerdige Fenster erreicht habt? Ich will Euch schon zeigen, mit mir Schabernack und Kurzweil zu treiben!"

"Nur Geduld, Herr Wirt, und beruhigt Euch! Ich bin gesprungen, nun laßt einmal Euer Haus springen, und wenn es höher aufhüpft als ich, dann habe ich die Wette verloren. Also los, du alte Baracke!" Da brachen die Bauern in helles Gelächter aus, nur der Wirt machte ein Gesicht, als hätte er in einen sauren Apfel gebissen, und sagte zuerst recht kleinlaut, so habe er es nicht gemeint. Dann packte ihn aber der Ärger und er drohte Rothard mit dem Gericht. Jedoch ein alter Bauer sagte zu ihm: "Meister Kellerwurm, vergleicht Euch mit dem Magister! Was auf dem gerichtlichen Wege zutage kommt, das habe ich genug erfahren."

"Wohlan", rief Rothard, "ich will nicht hartköpfig sein, bin in der Welt genug herumgewandert und biete meine Hand gern zur Versöhnung. Ich habe das unstete Leben satt und will einmal längere Zeit friedlich unter einem Dache wohnen; nehmt mich darum als Euren Gesellen an, Meister Wirt, und ich denke, wir werden beide gut fahren." Dieser Vorschlag gefiel dem. Wirt, denn er sah nun ein, daß der fahrende Gesell nicht bloß ein gutes Mundwerk, sondern auch das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Darum säumte er nicht länger und ging darauf ein, Rothard bei sich zu behalten. Und siehe, er hatte damit nicht schlecht getan. Der Magister erwies sich bald als fleißiger und braver Bursche, der seinem Herrn treu zur Seite stand. Nicht nur, daß er die Gäste gut bediente, sondern auch jederzeit für ihre Unterhaltung sorgte. Seine lustigen Einfälle und Schnurren, seine Kunststücke und Schwänke brachten immer mehr Gäste herbei, so daß oft das Wirtshaus alle nicht fassen konnte. Kein Wunder, wenn darum der Wirt ein wohlhabender Mann wurde.

Einige Jahre darauf zog eine böse Seuche durchs Land und raffte den lustigen Kauz dahin. Da weinte der Wirt dem Toten viele Tränen nach. Um aber des Gründers seines Glückes dauernd zu gedenken, ließ er den Gesellen als Schalksnarren in dem Augenblicke des Sprunges malen und. das Bild über dem Tore aufhängen, wo es heute noch zu sehen ist.

Das Wirtshaus am Donaustrand wurde von der Zeit an nur "Zum Springerwirt" genannt.

Quelle: Schelme und Narren; Josef Pöttinger; Verlag Ferdinand Ertl Wien; 1941

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