Die gütigen Fräulein

In der Umgebung von Hollenstein pflügte einst ein Bauer auf einem Felde, und ein kleiner Knabe mußte ihm die Ochsen weisen. Der Bauer war aber sehr jähzornig, und wenn die Ochsen nicht recht ziehen wollten, so hieb er jedesmal auf das Kind ein. Als er nun wieder einmal die Peitsche hob, um auf den Knaben einzuschlagen, da flogen auf einmal zwei weiße Fräulein daher und nahmen den Knaben mit. Der Bauer erschrak sehr, fuhr gleich heim und bot alle Leute im Hause und in der Umgebung auf, um das Kind zu suchen. Aber alles Suchen blieb vergeblich, der Knabe war nicht mehr zu finden.

Nach einiger Zeit ging ein Holzknecht nach Hause und mußte auf seinem Wege durch eine düstere Schlucht. Da sah er plötzlich in einem Felsen eine eiserne Tür, und vor dieser saß der verschwundene Knabe. Der Holzknecht forderte das Kind auf, mit ihm zu seinem Vater zu gehen, der Knabe aber entgegnete: "Mein richtiger Vater ist dies nicht, und solange er nicht gottesfürchtiger und sanftmütiger geworden ist, werde ich nicht zurückkehren. Mir geht es ja jetzt viel besser, denn ich darf bei den gütigen Fräulein sein und in den Mondnächten ihre weißen Lämmer hüten." Hierauf verschwand er und wurde von den Dorfbewohnem nie wieder gesehen. (Pschorn.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, Band II; gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten; Herausgegeben von Ferdinand Adl, Amstetten 1952

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