Der Stumme Büßer zu Ossiach

Unter einem Abte dieses Kloster namens Teucho lebte dort ein Mann, von dem zu erzählen wir hier nicht versäumen dürfen.

* * *

Es war an einem stürmischen Herbstabende des Jahres 1090, als ein Pilger an die Pforten des Klosters zu Ossiach pochte. Der Pförtner öffnete und fragte den Pilger nach seinem Begehr. Mittelst Zeichen bat dieser um Einlaß und die nach dem Munde zeigenden Finger deuteten, daß der Fremdling stumm sei. Der Pförtner ließ den stummen Gast eintreten, man reichte ihm Abendbrot und wies ihm ein Nachtlager an. Als man aber morgens erwartete, der Fremdling werde seinen Wanderstab weitersetzen, flehte er mit Geberden den Abt Teucho an, im Kloster bleiben zu dürfen. Zögernd willigte der Abt ein und nur zu den Diensten eines Gartenknechtes konnte er den Stummen verwenden. Willig fügte sich dieser in seine armselige Stellung und verblieb neun Jahre in derselben; willig, fleißig und bescheiden wie wenige, erwarb sich der stumme Knecht die Zuneigung aller. Da geschah es, daß er am Ende des neunten Jahres schwer erkrankte und fühlte, daß sein Ende nahe bevorstehe.

Nun öffneten sich die lange verschlossenen Lippen des Sterbenden und er enthüllte den versammelten Mönchen das Rätsel seines Standes, seiner Herkunft. Der stumme Knecht war Boleslaw II. der Polenkönig, welcher sich als Herzog Boleslaw vom Deutschen Reich zur Zeit Heinrichs IV. unabhängig gemacht und von seinen Bischöfen hatte krönen lassen. Gegen seinen leichtfertigen Lebenswandel erhob sich bald mit kühnem Freimute Bischof Stanislaus von Krakau, der, als sich sein roher und ausschweifender Fürst nicht bessern wollte, ihn aus der Gemeinschaft der Kirche ausschloß. Von des Bischofs Kühnheit gereizt, sandte Boleslaw Söldlinge aus, den frommen Mann in der Kirche zu ermorden. Doch diese wagten es nicht, den schlimmen Auftrag auszuführen, und so brach der König selbst mit einigen Begleitern in die Kirche ein und erschlug den Priester am Altare. Jetzt jagten die Großen den Tyrannen aus dem Lande und er fand keine Stätte, um sein müdes Haupt zur Ruhe zu legen. Von Gram und Reue gepeinigt, beschloß er, nach Rom zu ziehen, dort sein Gewissen zu entlasten und Aufhebung des Kirchenbannes zu erflehen. Auf dem Wege dahin erreichte er Ossiach, dessen Weltabgeschiedenheit in ihm den Entschluß erzeugte, hier als stummer Büßer sein Leben zu beschließen. Und jahrelang hielt er, wie eben erzählt, getreu diesen Entschluß, bis er das Geheimnis am Sterbebete enthüllte und den gerührten und erstaunten Mönchen die Geschichte seines Frevels und seiner Sühne erzählte. Als Beweis der Wahrheit übergab der König dem Abte seinen Siegelring mit dem königlichen Wappen.

Die Mönche ehrten das Andenken des stummen Büßers, wie sie ihn fortan nannten, dadurch, daß sie fortan Taubstumme in ihre Obsorge nahmen und ihnen durch Zeichensprache Unterricht gaben

* * *

Als man im Jahre 1893 das Grab, welches seine Ueberreste enthalten sollte, öffnete, fanden sich darin Gebeine, eiserne Nägel, wahrscheinlich vom Sarge und eine Metallschließe, welche wohl einst das Pilgergewand des königlichen Büßers geschlossen hatte. Die lateinische Inschrift in der Klosterkirche lautet: „Boleslaus Rex Poloniae Occisor Sancti Stanislai Episcopi Cracoviensis“ (Boleslaus, König von Polen, Mörder des heil. Stanislaus, Bischofs von Krakau).

Quelle: Kärntner Sagen; Franz Pehr; Verlag von Joh. Heyn in Klagenfurt; 1913

© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.

 
designed by © Norbert Steinwendner, A 4300 St. Valentin