Leonstein

Ober Pörtschach am See stehen die Ruinen der Veste Leonstein. Vor vielen, vielen Jahren lebte dort ein junger Burgherr, dem ein schönes edles Weib den Himmel auf Erden verliehen haben würde, hätte er sein Glück nicht in jäher Zorneswut selbst zerstört. Als er nämlich eines Tages heimkehrend sein junge Gattin in den Gängen des Parkes mit einem fremden Jüngling in zärtlichem Gespräche wandeln sah, riß er, ohne zu fragen, das Schwert aus der Scheide und stach den Unbekannten nieder. Mit dem Rufe „O Bruder, mein Bruder!“ stürzte sich die Schloßfrau schluchzend über den Gemordeten. Wie von Furien gepeitscht, floh der unglückliche Mörder und wurde im Schlosse nicht mehr gesehen.

In stiller Zurückgezogenheit und Frömmigkeit lebte fortan die Burgfrau von Leonstein. Ihr einziger Umgang waren Arme und Hilfsbedürftige, Wohltun ihre einzige Freude. Täglich kam sie an eine gewisse Stelle unfern dem Schlosse und beteilte selbst die dort harrenden oder des Weges kommenden Siechen und Armen mit Speisen und Getränken. Ein Engel an Milde waltete sie unter ihnen und als ein solcher wurde sie von ihnen verehrt. Viele Jahre waren so dahingegangen, da trat eines Tages unter die wartenden Bettler die weinende Zofe der Burgfrau und sagte ihnen, die Edle sei soeben gestorben; ihr letztes Wort sei gewesen: „Vergeßt meine Armen nicht“. Auf diese Kunde hin begann unter den Versammelten ein solches Wehklagen und Weinen, daß ihre Tränen die Wiese befeuchteten, auf der zum steten Gedächtnis des edlen Herzen der Frau von Leonstein eine immergrüne herzförmige Stelle entstand, welche noch heute stets im frischesten Grün prangt, mag ihre Umgebung noch so dürr und vertrocknet sein.

Entsetzt über seine Zornestat war der Burgherr von Leonstein aus seiner Heimat entflohen; er ging nach Rom und suchte dort Vergebung und Ruhe. Ohne diese letztere gefunden zu haben, verließ er die heilige Stadt, und mit dem Vorsatz, sich selbst die schwerste Buße aufzulegen, trat er die Rückreise an. – Bald darauf verbreitete sich unter dem anwohnenden Landvolke die Kunde, daß auf der Schlangeninsel im Wörthersee ein Einsiedler hause; alles mied die Insel und ihren unheimlichen Bewohner. Der aber wendete seine Blicke Tag für Tag nach Leonstein, wo die geliebte Frau einsam lebte; ihr nahe zu sein und doch ferne zu bleiben, das war die Buße, die sich zu Monaten und Jahren gestalteten, bis eines Morgens der klagende Ton des Glöckchens in der Burgkapelle zu Leonstein sein Herz mit ahnendem Schrecken erfüllte. Er verließ den Ort seiner Verbannung und wandte den Fuß gegen sein heimatliche Veste.

Als das Burgvolk am anderen Morgen klagend zur Kapelle zog, um die tote Herrin nochmal zu schauen, sah es staunend den Klausner von der Schlangeninsel über den Sarg gebeugt, den blassen Mund auf die wohltätigen Hände der Gestorbenen gepreßt. Da man näher schritt, zeigte sich, daß der Kniende tot war; an seiner Rechten aber steckte ein Siegelring, der zeugte, daß der gemiedene Klausner der Gatte der Verstorbenen, der letzte Leonsteiner war.

Zusammen wurden sie begraben und es vereinte der Tod, was das Leben getrennt hatte.

Quelle: Kärntner Sagen; Franz Pehr; Verlag von Joh. Heyn in Klagenfurt; 1913

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