LIBUSSA

König Krok herrschte mächtig im Lande. Nach seinem Tode nahmen seine drei Töchter all das Erbe in Besitz und loseten um die Teilung. Kasha erhielt das Land gen Mitternacht, Tetka das gen Niedergang und Libussa das weite Gebiet gen Aufgang mit des Vaters Hochburg Psary. Weitum breitete sich Libussas Ruhm aus. Viel Volk zog herbei, um in Streitigkeiten, Zank und Hader von ihr das Recht zu hören oder ihre wunderbaren Verkündigungen künftiger Ereignisse zu vernehmen Die königliche Maid lebte jungfraulich, züchtig, ein Beispiel allen Menschen im Umkreis und gerne wählte schließlich das Volk sie zur Richterin und Königin.

Libussa erweiterte und befestigte auch das Schloß Psary. Oft saß sie dort auf einem hohen Felsen über dem Kreise ihrer Jungfrauen, blickte sinnend in die Gegend hinab und sprach kluge und gütige Worte der Weissagung. Eines Tages gebot sie dabei, das Schloß nicht mehr Psary, sondern Libin zu heißen.

Silber und Gold, das man in rohen Klumpen im Lande fand, wurde der Königin zugesendet. Sie erkannte den hohen Wert und begründete den Bergbau zum Segen des Volkes.

Da Libussa einige Jahre als Königin gütig und weise über das Volk der Böhmen geherrscht hatte, wünschten alle, die Männer voran, daß sie sich einen Gemahl erwähle. Sie berief darauf eine Versammlung, sprach viele Worte der Weissagung und riet ab von dem Begehren. Aber das Volk wie die Edlen blieben bei ihrem Willen und begehrten mächtig und laut einen König.

„Wohlan“, sprach sie darauf, — „so machet euch auf den Weg, gehet zum Wasser, das die Bila benannt wird, da werdet ihr im Gefilde des Dorfes Stadicz einen besonderen Acker finden und auf ihm einen Mann pflügen sehen mit zwei scheckigen Ochsen. Dieser wird euer König sein!“ —

Nach diesem seltsamen Spruch erkor sie dreißig Männer, die Besten und Edelsten des Landes, an Tugenden und Tapferkeit reich, gebot ihnen, einen königlichen Rock und Mantel mit sich zu nehmen und den neuen Herrn, den sie so dringend sich wünschten, zu suchen. Die Gesandten waren ihrer Aufgabe nicht ganz sicher. Sie begehrten nähere Zeichen über den fremden Mann zu erfahren, daß sie auch wirklich den rechten fänden. Libussa antwortete darauf: „Nehmt mit euch mein weißes Roß, das ich reite, laßt es frei und ungehindert vor euch her laufen. Das Tier wird den Mann erspähen und euch durch Wiehern und sonstige Zeichen verkündigen, daß er der rechte ist. Finden werdet ihr euren, künftigen König speisend auf einem eisernen Tische und die friedsamen Götter werden euren Weg beschirmen, eure Bahn behüten.“

Nach diesen Worten fuhren die dreißig Männer von dannen und ließen Libussas Roß vorangehen. Das lief unentwegt und unentwegt. Es nahm seine Richtung dem Mittelgebirge zu, nach dem Dorfe Stadicz, und am dritten Tage fanden sie wahrhaftig einen Mann auf dem Felde, mit zwei scheckigen Ochsen pflügend, dem naheten sie mit heilbietendem Gruß, den er jedoch nicht annahm und nicht erwiderte. Das Roß aber begann zu wiehern und zu schreien, zeigte alle Zeichen einer hohen Erregung, fiel gar vor dem Bauern nieder, dessen Name Przemysl war.

Die Boten Libussas zeigten ihm nun das fürstliche Gewand und richteten mit wohlgesetzten Worten ihre Sendung aus. Da stieß Przemysl die Haselgerte, die er in der Hand trug, in den Boden und spannte die Ochsen aus dem Pfluge, wobei er zu diesen sprach: „Gehet hin, woher ihr gekommen seid.“ Die Tiere erhoben sich jetzt in die Lüfte und schwebten in Wolkennähe empor, doch senkten sie sich wieder und fuhren schließlich gegen einen Felsen, der sich vor ihnen aufschloß. Da hinein, in die geöffnete Kluft, entschwanden die Ochsen, und der Fels schloß sich nach diesem Wunder alsobald. Zur Stunde aber rieselte aus ihm ein dunkles Wässerlein hervor, gleich aus einem Stalle und von solchem Geruche. Die Haselrute aber, die der Bauer in den Boden gesteckt, trieb sogleich grüne Blatter und drei Zweige, auch einige Nüsse dazu.

Mit Staunen sahen und beobachteten dies alles die Boten der Königin, noch mehr wuchs ihr Verwundern an, als der Bauer den Pflug umstürzte und auf die Schar ein schimmlig Brot legte, ein Stück Käse dazu, sein Mittagsmahl zu halten, zu dem er die Fremdlinge mit stummer Geste einlud. Da ersahen sie auch den eisernen Tisch, davon Libussa gesprochen. Von den Zweigen der Rute verdorrten inzwischen zwei, nur der dritte grünte in frischer Kraft aufwärts.

Als Przemysl erkannte, daß die Boten all dies mit höchstem Wundern ansahen, fragte er: „Was staunt ihr? Viele meines Geschlechts werden anheben zu regieren, immer aber wird nur einer König sein. Eure Herrin hatte nicht solche Eile vonnöten gehabt. Wäret ihr später gekommen, so daß ich diesen Streifen Acker ganz und gar umgepflügt hätte, niemals wäre dem Lande das Brot ausgegangen, immer hätten die Wiesen geblüht und diese Zweige wären nicht verdorrt. So aber wird bisweilen Hungersnot einfallen und die Menschen bitter quälen.“ — Als die Sendboten ihn weiter fragten, warum er auf einer eisernen Tischplatte speise, antwortete er bedächtig: „Mein Geschlecht wird euch oft mit Ruten von Eisen züchtigen.“ —

Nach der Mahlzeit legten die Männer Przemysl das lange Kleid an, warfen den prächtigen, gestickten Mantel um seine Schulter, eine wahrhaft königliche Zier, und zogen ihm die feinen neuen Fürstenschuhe an. Er aber nahm seine alten Schuhe mit sich, die er selbst aus Lindenrinden gemacht und mit Lindenbast genäht hatte, zur ewigen Erinnerung an die bäuerliche Abkunft des ersten Landesfürsten.

Prächtig und in Freuden führten die Sendboten ihren neuen Herrn dem Schlosse Libussas zu. Die königliche Maid nahte ihm, herrlich geschmückt, die Schwestern zur Seite, Ritter und Räte im Gefolge, das Volk in langen Haufen hintenan. Sie begrüßte ihn freundlich auf offenem Felde und erkor ihn zum Gemahl.

Von diesem ersten Könige Böhmens schreibt sich der Gebrauch her, daß bei jeder nachfolgenden Königskrönung vor dem neuen Herrn eine Metze Haselnüsse ausgeschüttet wurde, welche die Bewohner des Dorfes Stadicz, die außerdem von allen Abgaben befreit waren, liefern mußten. Dann zeigte man auch jedesmal dem jungen Fürsten die Bauernschuhe, die heilig von Geschlecht zu Geschlecht überliefert wurden. Im Hussitenkriege erst kamen diese Schuhe abhanden. Die Haselgerte aber grünte fort und fort, und ihr Stamm wird noch heute als ein Wahrzeichen im Dorfe Stadicz gewiesen.

Quelle: Im Reich der Sage; Otto Wutzel; Oberösterreichischer Landesverlag Linz;
4. Auflage 1958

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