DER RITTER MIT DEM SCHWAN

Zu Flandern bestand vor alters ein Königreich Lillefort, wo jetzt die Stadte Ryßel und Doway liegen. In ihm herrschte Pyrion als König mit Matabrun, seiner Gemahlin. Sie erhielten von Gott in ihrer Ehe einen einzigen Sohn, den sie Oriant tauften. Zum Jüngling erwachsen, jagte dieser eines Tages im Walde einen Hirsch, der auf der Flucht in ein Wasser entsprang. Oriant setzte sich darauf müde an einen lieblichen Brunnen, um auszuruhen. Als er so alleine saß, kam plötzlich eine edle Jungfrau auf ihn zu, die seine Hunde sah und ihn fragte, mit wessen Erlaubnis er in ihrem Walde jage. Dieses Mägdlein hieß Beatrix, und der junge Königssohn wurde von ihrer Schönheit so ergriffen, daß er ihr auf der Stelle mit heißen Worten die Liebe erklärte und die Hand zum ewigen Bunde bot. Beatrix willigte in Züchten ein und Oriant nahm sie mit sich aus dem Walde nach Lillefort, um daheim fröhliche Hochzeit zu feiern. Matabrun, seine Mutter, kam ihm neugierig entgegen, war aber der jungen Braut sofort gram und mißgünstig: weil er sie bloß und arm heimgeführt hätte und weil niemand wisse, woher sie stamme.

Die jungen Menschen lebten jedoch glücklich zusammen und nach einiger Zeit wurde die Königin guter Hoffnung nach einem Kinde. Sie stand nun öfters am Fenster und blickte den Müttern der Stadt nach, genoß ihres Glückes und wartete sehnsüchtig auf die Stunde, da Gott ihr Kind zur Welt entlasse. Einmal, als sie so beim Fenster lehnte, erblickte sie eine Frau mit zwei gleich alten Kindlein, die eben zur Taufe getragen wurden. Heimlich rief sie ihren Gemahl und fragte ihn voller Staunen, wie das möglich wäre, daß eine Frau zwei Kinder zugleich von Gott erhalten könne. Oriant antwortete:
„Mit Gottes Gnade ist alles möglich und eine Frau kann mit seiner Hilfe auch sieben Kinder empfangen.“ Bald darnach mußte er in einen Krieg an die Grenze seines Reiches ziehen und seine junge Frau in der Obhut seiner Mutter zurücklassen. Er trug Matabrun mit Strenge auf, seine Gemahlin zu schützen und zu pflegen, aber die Alte dachte nur auf böse, dunkle Taten. Sie beredete sich allsogleich mit der Wehmutter, daß sie der Königin, wenn ihre Stunde käme, statt der Kinder junge Hunde unterschieben, die Kinder selbst töten und Beatrix einer strafbaren Gemeinschaft mit Hunden anklagen wollten.

Als endlich die Zeit der Geburt des königlichen Kindes heranrückte, ward Beatrix von sechs Söhnen und einer Tochter entbunden. Jedem ihrer Kindlein lag wunderbarerweise eine silberne Kette um den Hals. Matabrun schaffte sofort mit kaltem Herz die Kinder hinweg und legte sieben Wölpe an ihrer Stelle in die Wiegen. Die falsche Wehfrau aber rief: „Ach, Königin, was ist Euch geschehen? Ihr habt sieben scheußliche Wölpe geboren; gebt sie nur rasch weg. und laßt sie unter der Erde begraben, daß dem König Eure Schande nicht offenkundig wird.“ Beatrix war untröstlich, sie weinte und rang die Hände, daß es jeden erbarmen mußte. Aber Matabrun blieb hartherzig und böse wie eine Hexe. Sie schalt die junge Frau wegen der Hunde, die sie angeblich zur Welt gebracht hatte, und zieh sie der ärgsten Sünden. Vom Bett der Schwiegertochter eilte sie dann hinweg und rief einen vertrauten Diener zu sich, dem sie die sieben geraubten Kindlein übergab und zu dem sie mit falscher Zunge sprach: „Die silbernen Ketten an den Hälsen dieser Brut bedeuten, daß sie dereinst Räuber und Mörder werden, darum muß man trachten, sie rasch aus der Welt zu schaffen.“ Der Knecht nahm die unschuldigen Kleinen in seinen Mantel, ritt in den Wald und wollte sie, wie sein Auftrag lautete, töten. Als sie ihn aber so lieb anlachten, wurde er mitleidig, legte sie unter einen Baum und empfahl sie der Barmherzigkeit Gottes. Darauf kehrte er an den Hof zurück und log der Alten vor, daß er ihren Befehl ausgeführt habe, wofür sie ihm voller Freuden einen reichen Lohn versprach. Die sieben Kinder schrien unterdessen vor argem Hunger im Walde, daß es zum Erbarmen war. Das hörte ein Einsiedler, Helias mit Namen, der in der Nahe des Baumes seine Zelle hatte, der fand sie und trug sie in seinem Gewande mit sich in die einsame Klause. Der alte Mann wußte aber nicht, wie er die Säuglinge ernähren sollte, siehe, da half Gott weiter! Es kam eine weiße Geiß gelaufen, die gab den Kindern reichlich Milch zu trinken. Diese Geiß stellte sich nun täglich ein, bis die Kinder wuchsen und größer wurden. Der Einsiedel nähte ihnen kleine Röcklein aus Blätter, sie spielten im Dickicht des Waldes und suchten zur Nahrung wilde Beeren, die ihnen trefflich schmeckten, und wurden in Gottesfurcht und Ehrlichkeit aufgezogen.

Der König, nachdem er die Feinde an der Landesgrenze besiegt hatte, kehrte heim und wurde mit lauten Klagen empfangen: daß seine Gemahlin eine arge Sünderin sei und daß sie sieben junge Hunde geboren habe, die bereits getötet worden seien, um die Schande zu tilgen. Tiefer Schmerz befiel ihn über dieser Botschaft. Er versammelte seine Räte und fragte, was zu tun wäre, wie die Königin zu behandeln sei. Einige rieten, die Sünderin sofort zu verbrennen, andere aber, die an ihre Schuld nicht ganz glauben wollten, meinten, man solle sie nur in sicheren Gewahrsam bringen. Dieser Rat behagte dem König, denn er liebte heimlich seine Frau noch immer Also wurde die unschuldige Beatrix eingeschlossen und blieb gefangen, bis zu der Zeit, da Gott ihr die Erlösung sandte.

Der Einsiedel hatte unterdessen die sieben Kinder getauft. Einen, den er besonders liebte, nannte er nach seinem eigenen Namen Helias. Die Geschwister wurden rechte Waldgeister. Sie liefen Sommer und Winter in ihren Blätterröcklein, gingen stets barfuß und barhaupt und liebten einander aus ganzem Herzen. Nach geraumer Zeit geschah es einmal, daß ein Jäger der alten Königin in dem Walde des Einsiedlers jagte und die Kindlein, alle sieben mit ihren silbernen Ketten um den Hals, unter einem Baume sitzen sah, von dem sie die wilden Apfel gerade abpflückten und fröhlich aßen. Der Jägersmann grüßte sie, da flohen die Kinder erschreckt zu der Klause und der Einsiedler bat, der fremde Mann möge ihnen kein Leid zufügen.
Als dieser Jäger wieder nach Lillefort kam, erzählte er Matabruna alles, was er gesehen. Sie wunderte sich sehr und erriet wohl, daß es Oriants sieben Kinder sein müßten, die scheinbar Gott beschirmt hatte. Auf der Stelle gebot sie deshalb: „Guter Geselle, nehmt von Euren Leuten und laufet eilends in den Wald zurück, damit ihr heute noch die sieben Kinder töten könnt. Die sieben Ketten bringt ihr mir zum Zeichen mit, daß mein Befehl ausgeführt worden ist. Handelt ihr nicht, wie ich Euch heiße, ist es um Euer Leben geschehen, sonst aber sollt ihr reichen Lohn erhalten.“ Der Jäger erwiderte unterwürfig: „Euer Wille soll genau befolgt werden.“ Eilfertig nahm er sieben seiner Männer mit sich und machte sich sofort auf den Weg nach dem Walde. Unterwegs mußten sie durch ein Dorf, wo sie einen großen Haufen Menschen versammelt sahen. Der Jäger fragte nach der Ursache des Auflaufes und erhielt zur Antwort, daß eine Frau hingerichtet werden solle, die ihr Kind ermordet hat. „Ach“, dachte der Jäger, „diese Frau wird verbrannt, weil sie ein einziges Kind getötet hat, und ich gehe darauf aus, sieben Kinder zu morden. Verflucht sei die Königin, die mir solches befohlen hat!“ Alle Jagdgehilfen stimmten mit ihm überein: „Wir wollen den unschuldigen Kindern kein Leid antun, sondern ihnen nur die Ketten lösen und diese der Königin bringen zum Beweis, daß wir ihr gehorcht und die Kinder gemeuchelt hätten.“

Der Einsiedel war gerade ausgegangen, in einem benachbarten Dorfe um Brot zu betteln, und hatte einen der Knaben mitgenommen, der ihm tragen helfen sollte. Die anderen waren allein in der Klause und schrien vor Furcht auf, als sie die fremden Männer sahen. — „Fürchtet euch nicht“, rief ihnen tröstend der Jäger zu, dabei löste er die Ketten vom Halse. In diesem Augenblick, als solches geschah, wurden die Kinder auf der Stelle zu weißen Schwänen und flogen hoch in die Lüfte. Die Jäger erschraken sehr über dieses Wunder und flüchteten eilends aus dem unheimlichen Walde. Der alten Königin brachten sie die sechs Ketten und gaben vor, daß sie die siebente verloren hätten. Matabruna war sehr böse darüber, gab sich dann aber doch zufrieden und entbot einen Goldschmied zu sich, er solle aus den Ketten einen kunstvollen Napf schmieden.

Der Goldschmied nahm eine der Ketten zur Hand und wollte sie nach ihrem Silberwerte prüfen. Da wurde die Kette im Feuer so schwer, daß sie allein mehr wog, als vorher alle sechse zusammen. Der Schmied verwunderte sich höchlich und übergab fünf der Geschmeide seiner Frau, sie solle diese wohl verstecken. Aus dem sechsten, das eingeschmolzen war, wirkte er statt einem gar zwei Näpfe, jeden so groß, wie ihn Matabruna begehrt hatte. Einen Napf behielt er noch bei den versteckten Ketten zurück, den anderen trug er zur Königin hin, die sich sehr zufrieden über seine Größe und Schwere zeigte.
Als nun die Kinder durch unerklärliche Zauberkraft in weiße Schwäne verwandelt worden waren, kam der Einsiedel mit dem jungen Helias vom Dorfe heim. Wie erschrak er, als seine Pfleglinge fehlten! Er suchte mit dem Knaben nach ihnen den lieben langen Tag bis zum Abend, konnte aber niemand finden und wurde überaus traurig. Morgens in aller Frühe begann Helias wieder nach seinen Geschwistern zu suchen, bis er zu einem Weiher kam, auf dem sechs Schwäne schwammen, die zu ihm hin flossen und sich mit Brot füttern ließen. Von nun in ging der Knabe alle Tage zu dem Wasser und brachte den Schwänen kärgliche Nahrung. So verstrich eine geraume Zeit.

Während Beatrix gefangen saß, sann Matabruna unentwegt, wie sie am besten vom Leben zum Tode zu bringen wäre. Sie stiftete einen falschen Zeugen an, der aussagte, daß er die junge Königin in vielen schwarzen Sünden gesehen habe. Oriant wurde durch diesen falschen Spruch, den er für wahr halten mußte, von neuem äußerst erbittert. Als schließlich der Zeuge sich erbot, seine Aussage gegen jedermann in einem Gottesurteil zu erhärten, schwur der König, daß Beatrix sterben solle, wenn kein Kämpfer für ihre Unschuld auftrete. In dieser Not betete sie unaufhörlich zu Gott, der ihr Flehen auch erhörte und einen Engel zu dem Einsiedel sandte mit der Botschaft im Traume, wer die Schwäne seien und in welcher Gefahr ihre Mutter sich befände. Als der Einsiedel dem Knaben Helias die Kunde seiner Abstammung berichtete, war dieser hocherfreut darüber und machte sich barfuß, barhaupt und in seinem Blätterkleid auf den Weg, um die Burg seines Vaters zu suchen. Seine väterlichen Rittertugenden erwachten und er fühlte heiße Kampfeslust in sich. Das Gericht war gerade versammelt und der Verräter stand siegessicher zum Kampfe bereit, als Helias erschien, allein bewaffnet mit einer hölzernen Keule. Ungleich war der Kampf, männlich wehrte sich der falsche, meineidige Ritter, aber Gottes Wille ließ den Jüngling obsiegen. Die Unschuld der geliebten Mutter wurde dadurch vor allem Volke offenbar. Sogleich löste Oriant ihr die Fesseln, bat sie kniend um Verzeihung und setzte sie in ihre früheren Rechte unter dem Jubel des Volkes ein. Die ganze Verräterei Matabrunas kam nun zutage. Sogleich wurde der Goldschmied gerufen und nach den silbernen Schwanenketten befragt. Er kam und brachte fünf der Ketten und den Napf, der ihm von der sechsten übergeblieben war. Helias nahm die Geschmeide und war begierig, nach der Mutter auch seine Geschwister zu erlösen. Plötzlich sah man sechs Schwäne zu dem Schloßteich fliegen. Vater und Mutter eilten mit klopfendem Herzen zu dem Wasser hin und wurden Zeugen des wunderbarsten Wunders. Als die Schwäne Helias erblickt hatten, schwammen sie zu ihm und er legte einem nach dem andern die zarten Ketten um den Hals. Augenblicklich standen sie in menschlicher Gestalt vor den überglücklichen Eltern: vier Söhne und eine Tochter. Wie küßten und kosten Vater und Mutter die wiedergewonnenen Kinder! Als der sechste Schwan aber sah, daß er alleine übrigbleiben mußte und nicht zu einem Menschen werden konnte, war er tief betrübt und zog sich in bitterem Schmerz die Federn aus. Helias weinte mit ihm und mahnte ihn tröstend zur Geduld. Der Schwan neigte seinen Hals, als ob er danken wollte, und jedermann fühlte Mitleid mit seinem Geschick. Die fünf anderen Kinder wurden darauf zur Kirche geführt und getauft: die Tochter empfing den Namen Rose, die vier Brüder wurden hernachmals fromme und tapfere Helden.

König Oriant übergab nach diesen wunderbaren Begebenheiten die Regierung in die Hände seines Sohnes Helias. Der junge König beschloß, vor allem das Recht walten zu lassen, eroberte die feste Burg, wohin die falsche Matabruna entfiohen war, und übergab die Sünderin dem Gericht, das sie zum Tode des Feuers verdammte. Das Urteil wurde auf der Stelle vollstreckt.

Helias regierte nun lange Zeit in Ruhe und Frieden in Lillefort. Eines Tages aber, als er den Schwan, seinen Bruder, auf dem Schloßweiher einen Nachen ziehen sah, überfiel ihn eine seltsame Unruhe. Er meinte, eine Stimme des Schicksals in sich zu hören, die ihn hieß, auf dem Nachen in die Welt zu ziehen und Ruhm und Ehre zu erwerben. In raschem Entschluß versammelte er Eltern und Geschwister, entdeckte ihnen seinen Vorsatz und nahm hastig Abschied. Dann ließ er sich Schild und Harnisch bringen. Oriant, der Vater, schenkte ihm zur Fahrt ein Horn: „Dieses Horn bewahre wohl! Denn allen, die es blasen hören, kann kein Leid geschehen.“ Der Schwan schrie dreimal mit seltsamer Stimme. Da schritt Helias zum Gestade hinab. Sogleich schlug der Vogel die Flugel, als ob er ihn bewillkomme, und neigte seinen edlen Hals. Helias bestieg den Nachen, der Schwan reihte sich vorne ein und schnell schwammen sie davon, von Fluß zu Fluß, von Strom zu Strom, bis sie zu der Stelle kamen, wohin Gottes Wille sie beschied.

Zu diesen Zeiten herrschte Otto der Erste als Kaiser der Deutschen und unter seinem Szepter standen auch das Ardennerland, Lüttich und Namur. Der Kaiser hielt gerade seinen Reichstag zu Nimwegen, und wer über ein Unrecht zu klagen hatte, der zog zu dieser Stadt und brachte seine Klage an. Es begab sich eben, daß auch der Graf von Frankenburg vor den Kaiser trat und die Herzogin von Billon, Clarissa mit Namen, beschuldigte, ihren Gemahl vergiftet und wahrend seiner dreijährigen Meerfahrt die Ehe gebrochen zu haben. Darum sei das Land nunmehr an ihn, den Bruder des ermeuchelten Herzogs, verfallen. Die schwache Herzogin verantwortete sich, so gut sie es in ihrer großen Not vermochte. Das Gericht entschied schließlich auf einen Gotteskampf und daß sie einen Streiter ihrer Sache wider den Grafen von Frankenburg finden müsse. Nur so könne ihre Unschuld sich erweisen. Vergebens sah sich die Herzogin nach einem Retter um.

Plotzlich hörten alle ein wundersames Horn blasen. Der Kaiser schaute zum Fenster seiner Burg hinaus und alles Volk erblickte auf dem Wasser den Nachen Helias‘, von dem Schwane gezogen. Kaiser Otto verwunderte sich sehr, und als das Fahrzeug anhielt und der Held landete, ließ er denselben sogleich vor sein Antlitz führen. Auch die arme Herzogin sah seine Ankunft und erzählte in banger Höffnung ihrer Tochter einen Traum der letzten Nacht: „Es träumte mir, daß ich vor Gericht mit dem Grafen um mein Recht kämpfte und zum Flammentod verurteilt wurde. Wie ich schon in den Flammen stund, fiog über meinem Haupte ein Schwan dahin, der Wasser zum Löschen des Feuers brachte. Aus dem Wasser stieg ein Fisch, den fürchteten all so sehr, daß sie vor ihm bebten. Darum hoffe ich in festem Glauben an meinen wunderbaren Traum, daß dieser Ritter mein Retter werden möge.“ Indessen grüßte Helias den Kaiser und sprach: „Ich bin ein armer Ritter, der durch Abenteuer hierher kam, um Euch zu dienen.“ Der Kaiser antwortete: „Sucht Ihr Abenteuer, so kommt Ihr recht! Hier stehet eine auf den Tod verklagte Herzogin. Wollt Ihr für sie kämpfen; so könnt Ihr sie retten, so ihre Sache gerecht ist.“ Helias sah die Herzogin an, die ihm sehr ehrbar zu sein schien, und sah auch ihre Tochter, die von wunderbarer Schönheit war, so daß sie ihm gar wohl gefiel. Sie aber schwur ihm mit Tränen, daß sie unschuldig sei. Gerne gelobte Helias, ihr Kämpfer zu werden. Das Gefecht wurde hierauf anberaumt und vor aller Augen ausgetragen. Es war ein harter Strauß, doch Helias stritt mit starker Klinge, während der Graf mit einem meineidigen Herzen in den Schranken stand. Helias wurde schließlich Sieger und offenbarte so die Unschuld der Herzogin.

Freudigen Herzens begrüßte der Kaiser den Helden. Die Herzogin aber verzichtete auf ihr Land zugunsten ihrer Tochter und vermählte sie mit ihrem Retter und Befreier. Die Hochzeit ward prächtig zu Nimwegen gefeiert. Hernach zogen die jungen Eheleute in ihr Land Billon, wo sie mit Freuden empfangen wurden. Nach neun Monaten schenkte die junge Herzogin einer Tochter das Leben, die den Namen Yda erhielt und späterhin die Ahnfrau berühmter Helden geworden ist.

Eines Tages fragte die Herzogrn ihren Gemahl nach seinen Freunden und Verwandten und aus welchem Lande er gekommen sei. Helias aber verbot ihr diese Frage, sonst müßte er von ihr scheiden. Sie hielt
darauf ihre Neugierde ängstlich zurück und lebte mit Mann und Kind sechs glückliche, ruhige Jahre.

Was man den Frauen verbietet, das suchen sie zumeist! Im sechsten Jahr ihrer Ehe konnte die Herzogin die Neugierde nicht mehr zügeln
und fragte in einer Nacht nochmals ihren Gemahl: „0 mein Herr! Ich möchte doch zu gerne wissen, von wannen Ihr seid.“ Als Helias diese Worte hörte, wurde er sehr traurig und antwortete „Ihr wißt,
daß Ihr das nicht erfahren sollt. Ich muß nun morgen von Euch scheiden.“ Wie viel auch Mutter und Tochter klagten und weinten, der Herzog stand des Morgens auf, berief seine Mannen und gebot ihnen, seine Frau mit dem Kinde nach Nimwegen zu geleiten in des Kaisers Obhut, denn er müsse scheiden und dürfe nie mehr wiederkehren. Unter diesen Reden hörte er auch schon den Schwan schreien, der sich über des Bruders Wiederkehr sehr erfreut zeigte. Der Nachen brachte ihn nach Lillefort zuruck, wo ihn alle, zumal seine Mutter Beatrix, fröhlich bewillkommten. Helias dachte jetzt vor allem daran, wie er seinen Schwanenbruder erlösen könne. Er ließ daher den Goldschmied kommen und händigte ihm die beiden alten Napfe ein mit dem Befehl, daraus eine Kette zu schmieden, wie die gewesen wäre, die er einstens geschmolzen hatte Der Schmied brachte nach langer, mühevoller Arbeit wirklich die gewünschte Kette. Helias strich sie dem Schwan über den Hals und siehe da, da war auch er erlöst. Ein schöner Jüngling entstieg dem Gefieder, der auf den Namen Emerich getauft wurde.

Einige Zeit darauf erzählte Helias seinen Geschwistern die Abenteuer, die er in dem Lande Billon erfahren hatte Er war schon der Welt müde und ging in ein Kloster, um bis an sein Ende geistlich zu leben. Zum Andenken an seine Gemahlin, die er nie vergessen konnte, ließ er ein Schloß bauen, ganz ähnlich seiner Burg in den Ardennen, und nannte es auch Billon.
Als nun Yda, Helias‘ Tochter, vierzehn Jahre alt geworden war, vermählte sie Kaiser Otto mit Eustachius, einem Grafen von Bonn. Yda lag nun einmal in einem wunderbaren Traum. Es kam ihr vor, drei Kinder lägen an ihrer Brust, jedes mit einer Krone auf dem Haupte; dem dritten zerbrach die Krone und eine Stimme rief; sie würde drei Söhne gebären, die der Christenheit viel Heil bringen sollten. Innerhalb dreier Jahre brachte auch die junge Gräfin tatsächlich drei Sohne zur Welt, der älteste hieß Gottfried, der zweite Baldwin, der dritte Eustachius.

Die Herzogin, ihre Mutter, hätte unterdessen gar zu gerne Kundschaft von ihrem Gemahl erfahren. Sie sandte deshalb Pilger aus, die ihn suchen sollten in allen Landen. Einer dieser Pilger kam nach langer Irrfahrt vor das Schlöß, das Billon hieß. Mit Staunen hörte er diesen Namen. Die Landleute erzählten ihm auf sein Befragen, warum ihr alter Landesherr, Helias, diesen Bau gestiftet und so benannt habe. Der Pilger dankte Gott, daß er endlich gefunden, was er so lange hatte suchen müssen. Er ließ sich allsogleich dem König Oriant melden und erzählte ihm von seiner Herrin, des edlen Ritters Helias Ehefrau. Emerich, der Schwanenbruder, brachte die frohe Botschaft in das Kloster und Helias gab dem Pilger seinen Trauring zum Wahrzeichen mit, auch sandte er viele Kostbarkeiten in das Land Billon. Der Pilgrim fuhr damit in seine Heimat und brachte der Herzogin die frohe Kunde. So kam es, daß alle noch vereint wurden. Helias starb bald
darnach, in tiefer Trauer gefolgt von seiner treuen Gemahlin. Ydas Söhne aber wurden berühmte Helden und zwei der Brüder beherrschten nachmals als Könige die Heilige Stadt Jerusalem.

freundlich und zuvorkommend und vermeldete zugleich, sie sollten ja darauf achtgeben, nicht in ein Gedränge zu kommen, sonst könnte es ihnen übel ergehen; es sei nämlich im ganzen Lande ein großer Trauertag um den verstorbenen Herrn und Gebieter angesetzt.

Sofort erbot sich auch der Zwerg, ihnen die Wege zu weisen, auf denen sie aller Gefahr ausweichen und entrinnen könnten. Dankbar nahmen sie seine Hilfe an und rüstig schritt er ihnen voraus. Sie mußten sich über sein rasches Fortkommen verwundern, denn im Wandern bemerkten sie, daß seine Füße ganz krumm und eingebogen waren.

Als sie schon einige Zeit gegangen waren, faßte sich einer der Wildschützen ein Herz und fragte den Wicht, in welcher Gegend sie sich denn befänden. Dieser gab darauf zur Antwort: „Ihr seid bei dem unterirdischen Geschlechte, das mit den Bewohnern der Erdoberfläche, mit den undankbaren und unvernünftigen Menschen, keine Gemeinschaft hat. Wir müssen deshalb unsere Arbeiten außerhalb des Berges in der Nacht vollbringen, wobei wir allerdings frommen und guten Menschen in ihrer Not und Plage gerne helfen, soferne man unsere Hilfe will und dankbar annimmt. Wo nicht, wenden wir uns an das Vieh und plagen dasselbe, da wir unseren Unwillen an den Menschen selber nicht auslassen und kühlen können. Fraget nun nichts weiter, ich muß schon zu meinen Arbeiten eilen. Haltet euch nur immer zur linken Seite, so kommt ihr wieder zur Oberwelt! Laßt euch aber niemals mehr einfallen, das Reich der Unterirdischen zu suchen. Wir meiden die Menschen und wollen nicht von ihnen belauscht oder gesehen werden. Übel kann es den Neugierigen ergehen, denn manche Zauberkräfte sind uns eigen.“ Geheimnisvoll und drohend funkelten seine Äuglein bei diesen Worten. Den Männern kam vor, daß sie ganz grün waren. Rasch wandte er sich selbst zur rechten Seite und verschwand. Sie aber zogen die Straße weiter, die er ihnen angegeben hatte. Aus der Ferne beobachteten sie, wie immer mehr kleine Zwerge und Wichte zusammenströmten, mit Laternen in den Händen, die Augen mit Tränen gefüllt und die Mienen in tiefe Sorgenfalten gezogen.

Bald gerieten sie, wie vorher schon, in große Felsenklüfte und dunkle Örter, an denen die Windlichter wieder gute Dienste erwiesen, Diese bewahrten die Wildschützen vor dem Absturz in grausige Tiefen. Der Weg deuchte ihnen gar sehr lange, und hätte ihnen ihr kleiner Führer nicht angesagt, wie sie gehen müßten, so hätten sie jede Hoffnung verloren, jemals wieder an die Oberwelt zu kommen. Oft meinten sie mit Angst und Verzweiflung, in die Irre zu gehen. In tiefe Abgründe ging es hinab, dann wieder steile Anstiege und Felsenriffe hinauf. Wie lange sie auf diese Weise gewandert sind, konnten sie selbst gar nicht angeben, denn die ganze Zeit über waren ihnen Sonne und Mond verborgen.

Endlich, sie waren bereits völlig erschöpft, kamen sie zu einer engen Felsenritze, durch die einige Sonnenstrahlen hindurchleuchteten. Eine Dornenhecke versperrte noch den Weg, mühsam kämpften sie sich durch ihr Dickicht hindurch und waren endlich ihrer Erde wiedergegeben. Am Fuße des Felsens lag eine Ortschaft. Bald erfuhren sie von einem Bauern, daß dies Kitzbühel sei und Innsbruck noch eine Tagereise nach Westen liege. Niemand hat seitdem die geheimnisvolle Höhle betreten. Das Reich der Unterirdischen soll man nicht stören!

Quelle: Im Reich der Sage; Otto Wutzel; Oberösterreichischer Landesverlag Linz;
4. Auflage 1958

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