Der Wildschütz

Wer vom Ramingtale, in dem die Ortschaft Kleinraming so lieblich eingebettet liegt, hinaufwandert zu den lichten Höhen von Ebersegg, einem breiten mit grünen Fluren bedeckten Bergrücken, der hat zu seiner Rechten den langen, dunklen Waldschlund des Groß-Kollergrabens, zur Linken die lieblichen flurenreichen Hänge des Kürnberges und das schöne Tal der Raming. Der Wanderer kommt vorüber an einsam liegenden Bauernhäusern, Kapellen und Feldkreuzen. Unter Obstbäumen versteckt liegt hier auch der Bauernhof Eigruber, gemeiniglich kurz Eigrub genannt.

In der Eigrub hatten sie vor langer Zeit. einmal einen Knecht gehabt, der war von den Leuten gemieden und von den Jägern gefürchtet; von den ersteren deshalb, weil es allgemein hieß, daß er mit dem Teufel im Bunde stehe, von den letzteren, weil er ein äußerst verwegener Wildschütz war, dem sie in keiner Weise beikommen konnten. Mit einem Abschraubgewehr strich er durch die schwarzgrünen Wälder des Damberges, des Spadenberges, der Käferleiten, des Willeitenberges, kurz in den bergen- und wälderreichen Revieren der Voralpen.

Den Jägern war er nicht greifbar, denn er konnte sich, dank der Hilfe des Teufels, unsichtbar machen oder in einen Baumstock verwandeln; oft saßen die Jäger auf ihm, während er in einen Holzstock verwandelt war und schnitten auf ihm Tabak für ihre Pfeifen wobei sie auf ihn Vorpaß hielten. Guten Freunden hat er hie und da seinen zerkratzten und zerschundenen Rücken gezeigt.

Seine verbotenen Pirschgänge hat er immer während des Gottesdienstes gemacht, wenn die Leute in der Kirche waren. Eines Tages wilderte er wieder einmal während der Kirchenzeit in den östlichen Revieren des Damberges. Als er zu einer Viehweide kam, trat ihm jenseits des Zaunes ein prächtiger Hirsch entgegen, schnell brachte er sein Gewehr auf ihn in Anschlag. Doch der Hirsch wuchs vor seinen erstaunten Augen, wurde immer größer und größer, und als er fast schon bis zu den Wipfeln der Waldbäume reichte, löste sich die Starrheit des unverwandt auf die merkwürdige Erscheinung schauenden Wilddiebes und der sonst unerschrockene Mann ging, von Grauen gepackt, rückwärts und floh, den Vorsatz fassend, nie mehr während des Gottesdienstes wildern zu gehen, über Stock und Stein seiner Behausung zu.

Auch sonst konnte der Knecht mit Hilfe des Höllenfürsten mancherlei Seltsames vollbringen. Der Knecht wurde, weil er es schon gar zu bunt trieb, von den Leuten davongejagt. Ob ihn später der Teufel geholt hat, das meldet die Sage nicht.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

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