Der Tod als Fahrgast

Vor vielen Jahren, als die hölzerne Brücke über die Enns noch nicht bestand, die heute Lahrndorf mit Sand verbindet, wurde der Verkehr zwischen beiden Ortschaften mittels Zille bewerkstelligt. Der Fährmann, allgemein Förg genannt, wohnte in dem Häusel, das heute noch hart an der Enns, nahe der Brücke liegt und seit altersher das Förgenhäusel hieß und heute noch so genannt wird. Nachdem die Brücke errichtet war, wurde die Überfuhr eingestellt. Heute gehört das Förgenhäusel, vielfach erneuert und umgestaltet, zum herrschaftlichen Schloß Lamberg in Steyr; ein Jäger wohnt darinnen, der den Verkauf des Scheiterholzes, das aus den herrschaftlichen Wäldern dort auf dem freien Platze abgeladen wird, besorgt. Die Sage erzählt, daß vor vielen Jahren im Dambachtale eine pestartige Krankheit grassierte, die alle Menschen in dem engen Waldtale dahinraffte; nur einer blieb übrig und das war der Förg.

Eines Tages, ehevor die große "Sterb" anging, saß der Förg auf einer Bank bei seiner Zille am Ufer der Enns. Da gerade etwas Stille in seiner Überfuhrbeschäftigung eingetreten war, sah er mit Vergnügen den vielen blauweiß schimmernden Schwalben zu, die in schnellen Flügen über dem Gewässer der rauschenden Enns Jagd auf Mücken machten. Da meldete sich auf der Lahrndorferseite ein Mann, der über den Fluß gesetzt zu werden wünschte. Drüben mit seiner Zille angekommen, stieg ein fremder, vermummter, unheimlich aussehender Geselle in das Fahrzeug des Förgen und ließ sich über die Enns setzen. Als der schweigsame Fahrgast auf der Dambachseite ausstieg, fragte er den Förgen, was er schuldig sei. Da der Fragende ein "bsunderlöga" Mann war, getraute sich der Förg nichts zu verlangen und sagte: "Nichts". "Das ist dein Glück", sprach der Fremde, "sonst hättest du auch sterben müssen!"

Dann ging er davon, hinein in das Dambachtal. Bald darauf starben alle Leute in dem langen Tale längs des Dambaches, nur der Förg blieb übrig, sich erinnernd der Worte jenes seltsamen Fahrgastes, den er auf seinem schwanken Fahrzeug über die Enns gesetzt hatte. Es war der Tod gewesen.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

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