Das Pestkreuz aus dem Jahre 1786

Die Stadt Steyr ist im Laufe vieler Jahrhunderte in kürzeren und längeren Zeitabständen von der schrecklichsten aller Krankheiten, der Pest, heimgesucht worden. Gar oft heißt es in alten Chroniken, dass die „erschröckliche Pestilenz einen großen Haufen frommer und böser Leut’ hinweggerafft hat.“ Daher hatte die Stadt in und um Steyr mehrere Pestfriedhöfe, in denen die von dieser pestilenzischen Seuche hinweggerafften Personen männlichen und weiblichen Geschlechts begraben wurden.

So war einer dieser Pestfriedhöfe außerhalb der Stadt gegenüber dem einstigen Kapuzinerkloster auf der Anhöhe, wo jetzt die alte Bertholdi-Kapelle steht. Ein anderer Pestfriedhof befand sich in der Ortschaft Gmain. Als die Opfer der Pest in den Jahren 1541 und 1542 den kleinen, schmalen Friedhof bei der Pfarrkirche überfüllten und man eine größere Ansteckung von den Leichnamen fürchtete, wurde hinter dem Bruderhaus, im sogenannten Weichselgarten, ein neuer Friedhof errichtet. Doch auch dieser erwies sich bald zu klein und reichte in den Pestjahren 1569 und 1570 nicht mehr aus. - Manche Pestsäule, manche Pestkapelle, mancher Bildstock mit Bildern und Statuen der Pestpatrone erinnern uns an diese gar oft grassierende häßliche Krankheit.

Auf einen dieser Pestfriedhöfe sei hier besonders hingewiesen. Etwas außerhalb der Stadt Steyr, unweit der St. Annakirche, nahe am linken Ufer des Steyrflusses, lag eine Wiese. Auf dieser Wiese wurden hauptsächlich die im Pestjahre 1713 an der Seuche Verstorbenen begraben.

Zeiten und Menschen sind vergangen, die Pest ist nicht wieder gekommen. Der Friedhof verfiel im Laufe der Zeit; nichts deutete mehr darauf hin, daß diese Wiese einst ein Pestfriedhof gewesen. Einzig ein altes, aus Sandstein gearbeitetes, einen und einen halben Meter großes, schweres, barockes Kreuz stand noch wind­schief, halb in die Erde gesunken, einsam und verlassen mitten in der grünen Wiese. Am Kreuze stand die erhaben gemeißelte, aber schon arg verwitterte Inschrift in der Schreibweise jener längst vergangenen Zeit:

Hier ligt begraben R. P. Franziskus
Sorer S. J., Rektor der Jesuiter C. U.
Steyr, welcher in der Pest sein Geist
aufgegeben hat. - Dießer hat den pest-
haften gedienet u. biettet alle um
ein Gebett. Anno 1786.

Allgemein wird angenommen, daß im Jahre 1713 die Pestperiode in unserem Heimatlande ihr Ende gefunden hat. Daß die Pest viele Jahre später noch einmal in Steyr verheerend auftrat und neben vielen Leuten auch den oben genannten Priester im Jahre 1786 hinwegraffte, das beweist die Inschrit an dem vorhin genannten Steinkreuz.

Vor 1900 kam ein geschäftstüchtiger Mann und erbaute sich auf der Wiese, in welcher die an der Pest Verstorbenen ruhten, ein Wohnhaus und einen Kalkofen; bei Erdaushuben kamen Gebeine jener Toten zum Vorschein. Als man noch einen Wagenschuppen erbaute, stand das Steinkreuz im Wege; es wurde an die hinten aufragende Felswand gestellt. Dort blieb es viele Jahre stehen. Es wurde von Unkraut und Schlingpflanzen so überwuchert, dass man es nicht sehen konnte und so den Blicken der Vorübergehenden entzogen blieb.

Da erbarmte sich im Jahre 1952 der Pfarrer der Kirche St. Anna, Herr Geistlicher Rat J. Lugmayr, des alten barocken Steinkreuzes. Er nahm einen starken Karren und mit tatkräftiger Hilfe Jugendlicher wurde das schwere Kreuz von seinem wüsten Standplatz genommen, mit harten Kräften auf den Karren geladen und zur Annakirche gefahren, wo es mitten in der schönen Blumenanlage an der mit Efeu grün übersponnenen, hohen Straßenwand aufgestellt wurde. Nun hat das schwere Steinkreuz aus dem Pestjahr 1786 endlich den passenden Platz gefunden, zur Freude derer, die der Bitte, so in der Inschrift, nachkommen wollen.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.

 
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