Der Springerwirt

Unweit von Eferding in Oberösterreich steht ein altes, stattliches Wirtshaus, das bis in die neueste Zeit herein „Zum Springerwirt“ genannt wurde und nächst dem Weinzeiger aus Tannenreisig auch ein großes, buntbemaltes Schild dem Wandersmann entgegenstreckte. Die Hauptperson der farbenreichen Tafel war ein in den Lüften schwebender, seine Schellenkappe schwingender Harlekin.

Es war vor Jahren an einem Sonntagnachmittag. Die Bauern saßen müd und schläfrig vor ihren Krügen; da schmetterte plötzlich ein lustig Lied vom Zaune herüber und eine wandernder Student trat in die Schenke.
„Heda, Herr Wirt, einen Humpen vom Beten!“

„Mit Verlaub,“ fragte der Wirt, nachdem er seines Auftrages sich entledigt hatte, „Ihr seid?“ – „Doktor der freien Künste.“ – die Bauern steckten die Köpfe zusammen. „Jawohl,“ fuhr der Fremde fort, „ich heiße R o t h a r d und bin ein Mann, der seinesgleichen sucht – habe bereits vor Königen und Fürsten meine Künste gezeigt.“
„Da solltet Ihr uns doch ein Pröbchen zum Besten geben.“

„Nun denn: ist’s Euch genehm, so mag es eine Wette geleiten. Ich springe höher als Euer Haus.“

„Ihr springt höher als mein Haus? Ohne alle Vorbereitung?“

„So wie ich hier gehe und stehe.“

„Dem widerspreche ich.“

„Ich schlug ja eben eine Wette vor. Spring’ ich höher, so nenne ich das Haus mein eigen; im Gegenteile verpflichte ich mich, fünfzig Humpen von Eurer feinsten Sorte zu zahlen.“

„Topp!“ rief der Wirt, „bin’s zufrieden, will derweilen die Fäßlein anstechen lassen.“

Der Fremde lachte und schickte sich zum Sprunge an. Die Bauern pflanzten sich im Kreise auf und blickten mit offenen Mäulern drein. – „Es gilt!“ rief Konrad und schwang sich empor; jedoch betrug die Entfernung seiner Sohlen vom Boden kaum die Tischhöhe.

„Ihr treibt Kurzweil,“ rief der Wirt; „doch müßt Ihr den Schwank büßen.“

„Kurzweil? Schwank? Mit nichten. Ich habe behauptet, höher zu springen als Euer Haus, und ich bin wohl über die Tischhöhe hinaus gesprungen; nun mag Euer Haus springen. Wenn es höher aufhüpft, hab’ ich die Wette verloren. Vorwärts, alte Baracke!“

Das gab ein Höllengelächter. – „So war es nicht gemeint,“ donnerte der Wirt.

„Ich hatte es so gemeint,“ entgegnete Rothard.

„Nimmermehr!“

„So mag das Gericht entscheiden.“

„Sucht einen Vergleich anzubahnen, Meister Kellerwurm!“ beruhigte ein alter Bauer, „was auf dem gerichtlichen Wege zutage kommt, habe ich erfahren.

„Wohlan,“ rief Rothard, „bin kein hartköpfiger Bösewicht und biete meine Hand mit Freuden der Versöhnung; habe das unstete Leben sattsam ausgekostet, will einmal längere Zeit friedlich unter einem Dache hausen; nehmt mich als Euren Gesellen an, Meister Wirt, und ich denke, wir werden beide gut fahren.“

Dem Wirt kam eine derartige Lösung des Zwistes höchst erwünscht. Rothard erwies sich als ein kluger, tüchtiger Schaffner. Seine lustigen Einfälle und Schnurren üben einen wunderbaren Bann. Aus weiter Ferne strömten die Gäste nach dem einsamen Hofe und labten sich an des Meisters goldenen Tropfen und an des Gesellen witzigen Worten.

Einige Jahre darnach zog jedoch eine böse Seuche durchs Land und rief den lustigen Kauz vom Schauplatze seines Wirkens ab. Der Wirt weinte dem Heimgegangenen viel aufrichtige Tränen nach. Um aber der dankbaren Erinnerung an den Gründer seines Glückes einen offenkundigen Ausdruck zu geben, ließ er den Fremdling als Schalksnarren im Augenblicke des Sprunges malen und das Bild über dem Tore an mächtiger Eisenstange befestigen.
So lautet das Märlein vom Springerwirt.

Ludwig Bowisch

Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein

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