Niglo in Windischgarsten

Heute ist der 5. Dezember, ein frostiger Winterabend. Vor ein paar Tagen fiel der erste Schnee. Auf dem Marktplatz tummeln sich mehr als hundert Kinder. Alle sind aufgeregt, aber auch recht lustig. Sie freuen sich auf das Packerl, das sie vom Nikolaus bekommen werden.

Da hört man vom Gasthof Mayr her rufen: „Sie kommen, sie kommen!“ Als ersten sieht man den Nachtwächter. In einer Hand trägt er eine große Hellebarde, mit der andern schwenkt er eine Laterne, das Horn hat er umgehängt. So schreitet er dem Zug voran. Hinter ihm kommen der Nigloherr in dem langen Holzknechtmantel und mit der weißen Pelzhaube und die Niglofrau. Diese ist ganz in Weiß gekleidet. In ihrem blonden Haar funkelt eine Krone. Am Arm trägt sie einen Korb mit Geschenken für die Kinder.

Aber jetzt wird es zum Fürchten. Ein Krampus rumpelt mit einem Buckelkorb daher, aus dem zwei Bubenbeine herausschauen. Wer wird der nächste sein, den er hineinsteckt?

Zum Erschrecken ist die Habergeiß. Ein weißes Tuch verhüllt ihre Gestalt. Aus dem Tuch fährt oben ein Ziegenkopf mit vier Hörnern heraus, einmal höher, einmal tiefer; dabei stößt die Habergeiß ein schreckliches Meckern aus.

Jetzt wird es ganz zum Fürchten. Schnell stecken sich die kleinen Kinder hinter die dicken Überröcke der Väter. Das halbe Dutzend Nigeln, die nun dahertrampeln, schauen gar zu wild und unheimlich aus.

Und was ist das? Sind heute die Waldbäume auch lebendig geworden? Zwei Gesellen sind ganz in Tannenreis gehüllt; das sind die Grassetmandln. Die Riesen dahinter fürchten die Kinder nicht mehr. Sie sind richtige Ungetüme. Aber wenn sie mit ihrem Prügel ausholen, hat sich ein flinker Bub längst in Sicherheit gebracht.

Aber plötzlich springt der Teufel daher. Gott sei Dank kann er nicht aus, denn ein Köhler hat ihn an der Kette. Der schwarze Köhler ist wirklich der richtige Teufelweiser.

Endlich wird es wieder licht. Drei Engel, deren weiße lange Gewänder unter der Straßenlampe aufleuchten, schreiten feierlich daher. Sie sind die Vorboten des heiligen Nikolaus, der in seinem strahlenden Gewand mit goldenem Stab und dem Buch unter dem Arm den Zug beschließt.

So nähert sich der Zug der Bühne, die auf dem Gemeindeplatz aufgestellt worden ist. In einem langen Gedicht stellt der Nigloherr nun alle Gestalten des Zuges vor. Wie sie aufgerufen werden, steigen sie auf die Bühne; bald sind alle versammelt.

Nun stürmen die vielen Kinder vor, denn der Nikolaus beginnt die Gaben zu verteilen. In großen Körben stehen sie bereit. Wenn der Name eines Kindes durch den Lautsprecher ertönt, dann heißt es hinauf auf die Bühne, durch die Ruten der Krampusse hindurch, dem Herrn Nikolaus Rede und Antwort stehen und wieder zurück. Aber das bißchen Angst schadet keinem. Die Schachteln fest unter den Arm geklemmt, kommen sie mit den Geschenken zurück. Den großen Windischgarstner Niglo-Umzug werden sie so bald nicht vergessen.

Quelle: Heimatkundliches Lesebuch, Bezirk Kirchdorf an der Krems
Herausgegeben von einer Arbeitsgemeinschaft des Pädagogischen Institutes des Bundes für Oberösterreich, Verlag Quirin Haslinger, Linz
ISBN keine

© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.

 
designed by © Norbert Steinwendner, A 4300 St. Valentin