Die Brüder von Pernstein

Nahe bei Kirchdorf erhebt sich auf steilen Felsen die Burg Alt-Pernstein. Darin lebte einst der Ritter von Pernstein mit seinen beiden Söhnen Adalbert und Ulrich. Die zwei Brüder waren fast immer beisammen. Sie lernten miteinander, übten sich in den Ritterspielen und gingen gemeinsam auf die Jagd. Nur selten gab es Streit zwischen ihnen. Wenn aber Adalbert besser lernte oder sich geschickter anstellte, konnte Ulrich seinen Neid nie verbergen.

Die liebste Spielgefährtin der beiden Brüder war Agnes, das Töchterlein des Burgherrn von Schellenstein. Sie allein vermochte Ulrichs Zorn leicht zu besänftigen. Sie konnte auch am schnellsten einen Streit zwischen den Brüdern schlichten.

Nach Jahren wollte jeder der Brüder das Burgfräulein Agnes zur Gemahlin haben. Lange zögerte sie, weil sie keinen durch ihre Ablehnung kränken wollte. Endlich erwählte sie Adalbert zu ihrem Gemahl. Agnes war das einzige Kind ihrer Eltern, und so wurde nun Adalbert Herr auf Schellenstein. Alle liebten und verehrten ihn wegen seiner Güte und Gerechtigkeit.

Ulrich aber hauste einsam auf Pernstein. Die Eifersucht quälte ihn, und oft und oft blickte er voll Neid hinüber nach Schellenstein. Nie besuchte er den Bruder und dessen Frau.

Eines Tages aber faßte er einen teuflischen Plan. Von da an besuchte Ritter Ulrich oft Bruder und Schwägerin auf Schellen- stein. Er war freundlich zu ihnen und brachte Agnes wertvolle Geschenke. Das junge Paar freute sich sehr, daß es nun wieder mit Ulrich in Freundschaft lebte.

In den Nächten aber gingen auf der Burg Pernstein seltsame, furchterregende Gestalten aus und ein. Lange saß der junge Ritter mit Dieben, Räubern und Mördern beisammen. Was hatte er vor? Was wollte er tun?

Als Ulrichs Namensfest nahte, ritt er hinüber auf Schellenstein. Er lud Adalbert und Agnes zur Feier seines Namenstages nach Pernstein ein. Voll Freude sagte sein Bruder zu, doch Agnes konnte nicht mitkommen. So ritt Adalbert am Sankt Ulrichs-Tag allein hinüber nach Pernstein. Die Brüder setzten sich an die Festtafel. Während des Mahles eilte Ulrich mehrmals voll Ungeduld zum großen Bogenfenster des Saales. Adalbert, dem dies auffiel, fragte ihn schließlich: „Du bist so unruhig! Erwartest du noch jemanden?“ „Ich habe heute noch eine Überraschung für dich!“ entgegnete Ulrich. Gleich darauf stieß er das Fenster weit auf und rief: „Sieh, lieber Bruder, deine Burg! Wie sie leuchtet im Abendrot!“

Adalbert sprang zum Fenster und war starr vor Schreck: Burg Schellenstein stand in hellen Flammen. „Agnes!“ schrie er und wollte aus dem Saal stürmen. Ulrich und seine bewaffneten Kriegsknechte aber versperrten ihm den Weg. Wild schlug Adalbert um sich, doch gegen die dichte Schar der Knechte konnte er nicht aufkommen. Ja, er wurde sogar immer näher zum Fenster gedrängt. Dort schrie ihm Ulrich voll Wut ins Gesicht: „Jetzt ist es mit deinem Glück vorbei!“ Haßerfüllt umklammerte er seinen Bruder Adalbert, hob ihn mit wilder Gewalt empor und stieß ihn durchs Fenster in die Tiefe.

Nicht lange konnte sich Ulrich über seine böse Tat freuen. Noch in derselben Nacht wurde er von den Räubern erschlagen, die auf seinen Befehl Schellenstein in Brand gesteckt hatten.

Quelle: Heimatkundliches Lesebuch, Bezirk Kirchdorf an der Krems
Herausgegeben von einer Arbeitsgemeinschaft des Pädagogischen Institutes des Bundes für Oberösterreich, Verlag Quirin Haslinger, Linz
ISBN keine

© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.

 
designed by © Norbert Steinwendner, A 4300 St. Valentin